Storytelling

Einfach mal drauflos erzählen, und schon fluppt es mit dem Story­telling? Denkste! Story­telling ist wie Golfen, meint Egbert Deekeling: Der perfekte Schlag direkt aufs Grün gelingt selten. Er rät: Platz lesen, Beschwernisse erkennen und erst dann los­schlagen. Ein Plädoyer für mehr inhaltliche Grund­lagen­arbeit.

 

ERSTENS: Story­telling-Hype

Ach, ist das schön! Wir haben den Stein der Weisen gefunden! Einfach das komplizierte, komplexe, unberechen­bare, verworrene und wider­sprüchliche Geschehen unternehmerischen Handelns, das Gewirr aus Strategie und Taktik, das unverständliche Gebrabbel der Marketing-, HR- und Strategie­verlautbarung auf einen schönen, knackigen Plot eindampfen und den dann dramatisch ausmalen, ja, erzählen.

Dieses Verfahren nennt sich Story­telling. Es gilt seit einiger Zeit als Allheil­mittel, den Kurs von Unternehmen und Konzernen nach außen und innen zu vermitteln. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Story, das Drama, der Plot, der Aha-Effekt – all das scheint der direkte Weg zur Erkenntnis. In Zeiten von Content Management und Marketing bieten sich zudem alle Möglich­keiten facettenreicher Auf- und Zubereitung sowie schneller und zielgenauer Dar­reichung.

Als Reaktion auf abstrakte, techno­kratische Sprach- und Inhalts­angebote aus den Werkstätten der Management­beratungen, als Befreiung von den Reduktions­formaten der Strategie­darstellung und -vermittlung, besser bekannt als PowerPoint, wirkt Storytelling zudem wie eine Art agiles Modell für zeitgemäße Content-Produktion und -Distribution.

Hinzu kommt, dass Storytelling in nahezu perfekter Weise ein journalistisches Arbeits­muster abbildet: die Suche, das Aufspüren der Pointe, der Spin, der spannende „Aufhänger“, die Geschichte vom Auf und Ab, Vor und Zurück und endlich der Sieg. Hurra! Tja, wenn das immer so schön wäre!

In einer der früheren Ausgaben des prmagazins preist der von mir sehr geschätzte Kollege Michael Inacker in seinem „Standpunkt“-Beitrag die universellen Vorzüge des Storytelling: „Beim Story­telling werden Fakten und Einschätzungen durch pointierte und neu zusammen­gefügte Informationen zu einer neuen Geschichte. Die Kunst besteht darin, komplizierte Vorgänge einfach zu erzählen.“ Michael Inacker erzählt dann einfach mal die Erfolgs­geschichte von der Deutschen Post und ihren E-Scootern, die wir alle kennen.

Es scheint dann aber doch am Ende etwas komplizierter zu sein, auch wenn es „verblüffende Wendungen“ gibt. Inzwischen wissen wir, dass Post-Vorstand Jürgen Gerdes raus­geschmissen wurde und – wenn man dem Story­telling im manager magazin glauben will – verzweifelt ein Käufer gesucht wird für die verlustreiche E-Scooter-Produktion.

Wem erzählen wir das denn jetzt? Was erzählen wir denn, wenn sich die frühere Story als Märchen erweist? Im schnell­lebigen Geschäft des Tagesjournalismus’ mag sich so ein Lapsus schnell versenden. Die Aufmerksam­keits­dauer ist gering, jede Menge Ablenkung und Spektakuläres und – natürlich – neue Geschichten.

In der unternehmens­internen Öffentlich­keit allerdings, bei den Führungs­kräften und den Mitarbeitern, ist das schon etwas schwieriger. Die Glaub­würdig­keit des Top-Managements, Verständnis und Akzeptanz von unter­nehmerischer Strategie und Management-Handeln werden nicht durch Storys und Storytelling erreicht und noch weniger gesichert.

Es bedarf gründlicher Analyse, sorgfältiger Sprach­bildung und tief durchdachter Argumentation, um vielfältige Wahrnehmungs­lagen, oftmals widersprüchliche Erwartungen mit einer Unternehmens­strategie und ihren Projekten und Maßnahmen verständnis- und akzeptanzfähig vorstellbar und – ja – erzählbar zu machen.

Storytelling ist, so verstanden, Anwendungs­­kommunikation und – um Miss­­verständ­nissen zu begegnen – damit selbst­verständlich auch relevant. Aber die Wirksamkeit der Story und auch des noch berühmteren „Narrativs“ beruht auf intensiver Vorarbeit.

Das editorische Inhaltsangebot (Editorial Content) fußt auf einem zuvor ausgearbeiteten strategischen Inhalts­angebot (Strategic Content). Was damit gemeint ist, soll im Folgenden erläutert werden. Zunächst aber noch einmal ein genauerer Blick in die unternehmens­interne Arena.

ZWEITENS: Phänomene der Unordnung

Die sogenannte Normalität unter­nehme­rischer Planungs- und Entwicklungs­prozesse wird determiniert durch Trans­aktionen und Trans­formationen, kurz getaktet, oftmals gleichzeitig, aber selten synchronisiert: Akquisitionen, Carve-outs, Spin-offs, Disruption des Geschäfts­modells, in der Folge Integration, Desintegration, Restrukturierung, digitale Transformation. Was vor zehn Jahren noch als Ausnahme­zustand deklariert wurde, ist heute in vielen Unternehmen Führungs- und Management-Alltag.

Die große Herausforderung von Konzern- und Unternehmens­führung besteht darin, in unübersichtlichen Gefechts­lagen ihre Agenda und ihr Handeln sinnvoll und taktisch plausibel zu begründen. Es geht ja inzwischen um die Akzeptanz einer Vielzahl sogenannter Stake­holder: Kapital­markt, Absatz­märkte, politische Öffent­lichkeit, Medien und natürlich interne Ziel­gruppen, Mitbestimmung, Führungs­kräfte und die Mitarbeiter.

Was sich dabei als eine zwar komplexe, aber irgendwie auch lösbare Heraus­forderung anfühlt mit Blick auf die externen Stake­holder, stellt sich in der unternehmens­internen Meinungs- und Akzeptanz­bildung als deutlich komplizierter und anstrengender dar. Hier gibt es Opfer und Gewinner, hier begrenzen Ziel- und Interessen­konflikte die Kommunikations­spielräume, hier unterminiert die Wahrnehmung von „erlittenem“ Führungs­verhalten und insuffizientem Prozess­management die Akzeptanz und Unterstützungs­bereitschaft. Hier wird zusätzliche Verwirrung gestiftet durch die tatkräftige Mitwirkung von Management- und Strategie­beratungen. Empathie­freie Erklärungs­angebote, techno­kratische Informations­prozesse und schließlich schwer verständliche Projekt- und Programm-Set-ups verstärken verlässlich den Unwillen von Betroffenen und Beteiligten.

Dazu kommen dann noch nicht harmonisierte Sprach- und Inhalts­angebote aus den Bereichen der inner­betrieblichen Bedeutungs­lieferanten: Die HR definiert mal eben Führungs­leit­linien mit Unternehmens­werten, das Marketing erklärt die Markenwerte zur Verhaltens­richt­linie, dann gibt´s auch noch Equity Storys vonseiten der Investor Relations, nicht zu vergessen: Compliance und – als sei das nicht genug – oftmals widersprüchliche oder explizit konkurrierende Verlautbarungen der bereichsfürstlichen Verantwortungsträger in Konzern­gesellschaft und Markt­einheiten. Das nennt man dann Kakofonie.

Also: Richtig was los im Konzern, und jetzt packen wir das mal in ein großes Narrativ und eine knackige Story oder in den Worten von Michael Inacker: in eine „große und relevante Geschichte [...], die idealerweise [...] eine Agenda setzt“. Wie sagte Karl Valentin? „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit!“ Es ist nun vielleicht mal interessant zu lesen, was das für Arbeiten sind, bevor wir überhaupt „storyfähig“ werden.

Drittens: Strategic Content schafft Ordnung und Verständ­lichkeit

„Storyfähig werden“ heißt dabei nichts anderes, als überhaupt erst einmal versteh­bar zu sein. Verständnis vermittelt sich nicht von selbst. Dazu braucht es vielmehr eine inhaltliche Grund­lagen­arbeit, die im Wesentlichen vier Arbeits­felder umfasst.

a) Analytische Arbeiten: Wahrnehmungs­lagen verstehen

Wer Geschichten über das Unternehmen erzählen will, muss die Geschichten kennen, die im Unternehmen selbst erzählt werden. Geschichten über Führungs­personen und ihr Auftreten. Geschichten über groß angekündigte Strategien und ihre Erfolge, aber auch über ihr Scheitern. Geschichten über Gewinner und Verlierer von Veränderungen – gefühlte wie tatsächliche. Geschichten über Erwartungen, Ängste und Hoffnungen.

Alle diese Geschichten spiegeln Wahrnehmungs­lagen und Befind­lich­keiten im Unternehmen wider. Fatal, sie nicht zu kennen und nicht zu wissen, was sie für die eigene Geschichte bedeuten. Ihre genaue Analyse schafft erst die Grund­lage für eine Argumentation und Sprache, die auf die Unternehmensrealität zielen und damit Authentizität und Glaub­würdig­keit ermöglichen.

b) Definitorische Arbeiten: Bullshit-Bingo übersetzen

Jeder neue Management-Hype produziert eine neue Runde im Bullshit-Bingo. Aktuelle Top-Plätze (oder schon nicht mehr?) nehmen Agiliät, Kunden­zentrierung, Customer Journey, Kunden­erlebnis und andere Begriffe rund um die digitale Trans­formation ein. Aber auch allgemeine, technokratisch geprägte Konzept­plattitüden wie Schnitt­stellen­management oder Potenzial­hebung bleiben höchst erklärungs­bedürftig.

Solche Begriffs­monster unreflektiert zu verwenden, schafft Unverständnis und Gleich­gültig­keit statt Interesse und Identifikation. Was meint das eigentlich im jeweiligen Unternehmens­kontext? Und was heißt das ganz konkret? Das muss aus dem abstrakten Management-Diskurs übersetzt und genau beschrieben werden. Und zwar in einer Sprache, die klarmacht, was sich dabei verändert und was die alte Welt von der neuen unterscheidet. Am Ende muss ein Set von Schlüssel­begriffen mit Erläu­terungen stehen, die die Substanz der Strategie auf den Punkt bringen.

c) Ordnungsarbeiten: „Big Picture“ und Kontext herausarbeiten

Jeder Strategie- und Trans­formations­prozess produziert Gigabytes an Charts, Präsentationen, Excel-Listen. An Inhalten mangelt es nicht. Die müssen geordnet und entsprechend ihrer Bedeutung gewichtet sein, um ein Big Picture des Strategie- oder Trans­formations­prozesses zu zeichnen. Auch das ergibt sich nicht einfach von selbst.

Mehr noch: Eine Überfülle an Inhalten bedeutet noch lange nicht, dass alle Inhalte vorhanden sind. Geht es um Projekte, sind die oft bis ins letzte Detail beschrieben. Da wäre weniger mehr. Dafür mangelt es oft an der Herleitung der Notwendigkeit – Inhalte sind hier eher Mangelware. Ordnungsarbeit bedeutet also immer auch nach­gelieferte Kontextualisierung der Strategie und Transformation. Nur so lassen sich leicht nach­voll­ziehbare und immer wieder­kehrende Argumentations­muster bestimmen. Das ist für Plausibilität und Verständnis un­verzicht­bar.

d) Zielbild-Arbeiten: Sinn­haftig­keit verdeutlichen

Eine weitere, gern übersehene Leerstelle: das Zielbild. Oft auch verwechselt mit der Ziel­verein­barung des Managements. Eine betriebs­wirt­schaftliche Kennzahl mag Sinn für die persönliche Agenda eines Top-Managers stiften – für die Sinn­stiftung im Unternehmen reicht das bei Weitem nicht aus. Hier geht es um ganz anderes. Es braucht einen prägnant formulierten Ziel­satz, der den künftigen Zustand des Unternehmens in einem definierten, handlungs­relevanten Zeit­raum beschreibt. „Vision“ ist dafür ein anderer gängiger Begriff. Nur das gibt der Strategie ihre eigent­liche Relevanz und Sinn­haftig­keit. Die Erarbeitung eines Ziel­bilds ist daher eine der wichtigsten Aufgaben bei der Entwicklung von Strategic Content.

Fazit: Nicht zu früh losschlagen!

Die Story-„Macher“ und die Story-„Teller“ suchen gern – wie man im Golfsport sagt – die „Tiger Line“, den genialen Schlag über Hindernisse und Un­übersicht­lich­keiten hinweg direkt aufs Grün. Aber, um im Bild zu bleiben: Das gelingt höchst selten, meist geht der Ball verloren und wird auch nicht mehr gefunden. Besser systematisch und sorgfältig vorgehen, auf dem Fairway heißt das: Platz lesen, Beschwer­nisse er­kennen und erst dann los­schlagen. In der Content-Arbeit gilt die einfache Regel: Erst erzählen, wenn das Terrain erkannt und verstanden ist, um dann Begriffe, Argumente, Motive und Bilder sinnvoll einzusetzen in ein dann auch wirklich wirksames Narrativ!

Der Beitrag von Egbert Deekeling wurde veröffentlicht im prmagazin 08/2018 in der Rubrik „Standpunkt – Branchenprofis zur Zukunft der Kommunikation“, Sie können das pdf des Beitrags hier herunterladen.

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