Purpose

Purpose scheint zum neuen Management-Buzzword unserer Zeit zu werden. Die Zahl der Publikationen explodiert. Unternehmen sind auf der Suche nach ihrem Purpose und flaggen mit dem „Head of Purpose“ neue Positionen aus. Beratungen richten ihr Leistungsangebot neu aus. Purpose ist dabei jedoch viel mehr als ein kommunikativer Modebegriff.

Die epochalen gesellschaftlichen Heraus­forderungen wie Klima­schutz, Generationen­frage, soziale Gerechtigkeit, Integration und Migration oder der Wandel in der Mobilität und der Energie stellen neue Anforderungen an die Licence to operate von Unternehmen. Der Erwartungs­druck seitens der Gesellschaft steigt. Die Unternehmen sind gefordert, ihren Beitrag zur Lösung dieser Themen anzunehmen und zu erfüllen. Die Steuerungshoheit der Politik scheint verloren. Die Verantwortung der Wirtschaft als gesellschaftlicher Akteur rückt mehr und mehr in den Vordergrund. Der reine Kapitalismus hat ausgedient. Der Fokus auf den Shareholder Value ist verschwunden. Die Wirtschaft muss und wird sich verändern. Das Zukunfts­institut spricht nicht umsonst vom „Big Business Change“ (Zukunftsinstitut: Zukunftsreport 2020), einem grundlegenden Wandel der Wirtschaft, der alle Branchen, Produkte und Geschäftsmodelle umfasst. Der Purpose ist Ausdruck dieses „Big Business Change“.

Dieser neue gesellschafts­politische Diskurs spiegelt sich nicht zuletzt in den Briefen von Larry Fink, CEO des weltweit größten Vermögens­verwalters Blackrock, aus den Jahren 2018 bis 2020. Er fordert ein langfristiges und ganzheitliches Verständnis des Wertbeitrags von Unternehmen für Gesellschaft, Umwelt und die Wirtschaft. Und gerade auch mit Blick auf den Klima­wandel konkretes Engagement der Unternehmen. „Der Unternehmens­zweck und der Umgang mit Stakeholdern werden immer wichtiger, wenn es darum geht, wie ein Unternehmen seine Rolle in der Gesellschaft definiert.“ Und auch der amerikanische Business Roundtable mit Jamie Dimon an der Spitze, Chairman und CEO von JPMorgan Chase & Co, betonte im vergangenen Jahr, die Wirtschaft müsse das Wohl der Menschen befördern. Die Rede ist von einer Organisation, in der sich immerhin fast 200 der größten amerikanischen Unternehmen versammeln.

ESG-Ratings sind in den Analyse­häusern angekommen. Das Interesse an Nach­haltigkeit steigt exponentiell und mit ihm der Druck auf die Unternehmen, Antworten zu finden. Wenn man zudem bedenkt, dass im Jahre 2025 die Millennials 75 Prozent der Arbeits­kräfte ausmachen, wird schnell deutlich, dass es nicht nur um externe Stakeholder geht: Purpose wird auch zum entscheidenden Wettbewerbs- und Bindungsfaktor im War for Talents.


Purpose verbindet Herkunft, Geschäftsmodell und den gesellschaftlichen Beitrag des Unternehmens

Der Purpose reflektiert die Historie und die Stärken der Organisation, vor allem aber den Charakter des Unternehmens. Was macht das Unternehmen eigentlich aus? Worauf basiert der Gründungskern? Was kann das Unternehmen besser als andere? Das ist „Recherchearbeit“, die tief in die Organisation hineinschaut und den Dialog mit den Führungskräften und Mitarbeiter:innen braucht.

Der Purpose wirft auch einen Blick auf das Geschäfts­modell. Womit verdient das Unternehmen Geld? Was kennzeichnet die eigentliche Geschäfts­tätigkeit? Wie muss sich die unternehmerische Tätigkeit verändern, um einen konkreten Nutzen für die Gesellschaft zu erfüllen? Welche Schritte müssen umgesetzt werden, um den Unternehmens­zweck glaubwürdig zu belegen? Das braucht eine schonungs­lose Klarheit gegenüber dem Geschäfts­­modell und den intensiven Dialog mit Aufsichts­­räten, Vorstand und Geschäfts­­führung.

Und der Purpose wirft vor allem einen Blick in die Welt. Welchen Zweck erfüllt das Unternehmen? Warum braucht es das Unternehmen? Welchen Nutzen stiftet es? Er beschreibt den Impact, den die Organisation auf Kunden, die Gesellschaft, die Umwelt, die Mitarbeiter:innen, die Zulieferer und Aktionäre hat. Dabei berücksichtigt er auch die möglichen negativen Folgen, die die Geschäfts­­tätigkeiten des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft haben können. Teil der Lösung sein zu wollen, heißt immer auch, sich selbst als Teil des Problems zu hinterfragen und damit offen umzugehen. Der Purpose ist damit nur aus einer Perspektive von außen, aus der Berücksichtigung der globalen Mega­trends und Heraus­forderungen der Zukunft sowie aus den Erwartungen aller Stakeholder an ein Unternehmen zu definieren. Angesichts der fundamentalen Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Umwelt sind Unternehmen mit substanziell neuen und tiefgreifenden Anforderungen konfrontiert. Einen Purpose zu definieren, setzt voraus, sich mit diesen Erwartungen auseinander­zusetzen und einen ehrlichen Dialog mit allen relevanten Stakeholdern zu führen.

Purpose ist mehr als Vision oder Nachhaltigkeitsstrategie

Ein so verstandener und zu entwickelnder Purpose unterscheidet sich im Übrigen massiv von den bisherigen Zielbild-, Visions- und Missions­prozessen. Eine Vision als Ziel­formulierung und die Mission als Geschäfts­auftrag können sehr gut allein aus der Perspektive des Unternehmens, der Strategie und der finanziellen Zielsetzung definiert werden. Externe Zielgruppen – wie beispielsweise die Kunden – spielen dann als Adressaten möglicher­weise eine Rolle. Sie bestimmen und definieren aber nicht wie beim Purpose die Definition selbst entscheidend mit. Ihre Erwartungen sind nur mit Blick auf die originären Produkt- und Service­leistungen des Unternehmens relevant. Nicht aber mit Blick auf den Lösungs­beitrag des Unternehmens angesichts der Heraus­forderungen in Gesellschaft, Politik und Umwelt.

Purpose unterscheidet sich zudem deutlich von den bisherigen Corporate-Responsibility-Strategien, die darauf abzielten, quasi parallel zum Geschäft Gutes zu tun und der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Die Zeiten der klassischen Nachhaltigkeits­kommunikation sind vorbei. Sustainability fundiert die Unternehmens­strategie. Purpose zielt auf den Kern des unternehmerischen Handelns und definiert ihn neu vor dem Hintergrund eines sehr konkreten gesellschaftlichen Lösungs­beitrags. Insofern ist es zwingend, dass Purpose weder Lippen­bekenntnis noch bloße Marketing­aussage bleibt. Gefordert sind konkrete Belege, jenseits von Marketing und Kommunikation. Der Purpose ist eine Verpflichtungs­erklärung und zugleich Kooperations­angebot an Politik und Gesellschaft.


Purpose definiert den neuen Veränderungsauftrag des Unternehmens

Werden die fundamentalen Herausforderungen und die damit verbundenen Erwartungen ernstgenommen, löst der Purpose nahezu immer einen Veränderungs­auftrag im Unternehmen aus: Geschäftsmodelle müssen überdacht und neu definiert, Strukturen und Prozesse verändert und anders ausgerichtet, das Mindset des Unternehmens muss adjustiert werden. Der Purpose verändert die Geschäfts­strategie.

Gleichzeitig treibt ein glaubwürdiger Purpose die Veränderung des Unternehmens voran. Er motiviert Führungskräfte und Mitarbeiter:innen und gibt den notwendigen Anpassungen Framework und Begründungs­zusammenhang. Entscheidungen können leichter erklärt, die Umsetzung kann engagierter vorangetrieben werden. So könnte man auch anders herum sagen: Immer dann, wenn sich das Unternehmen weiter­entwickeln soll, wird zwingend ein Purpose gebraucht.

Veränderungs­kraft kann ein Purpose jedoch nur entfalten, wenn sich den Stakeholdern der damit verbundene neue Anspruch auch spürbar vermittelt. Dies kann nur in einem neuen Dialog zwischen interner und externer Unternehmens­­öffentlichkeit, zwischen Unternehmens­­leitung und Mitarbeiter:innen, zwischen Gesellschaft, Politik und Kapital­markt entstehen. Dafür braucht es neue Mechanismen und Formate. Der Eins-zu-eins-Dialog mit kritischen Stakeholdern, mit denen eine Einigung erzielt wird, ist angesichts des epochalen Trans­formations­­drucks zu kurz gesprungen und unterschätzt die neue kraftvolle Stimme der Gesellschaft. Das Management von Ziel­­konflikten wird zur Kern­aufgabe der Unternehmen.


Fazit

Es braucht den unbedingten und ernstgemeinten Willen des Unternehmens und seines Vorstands, einen gesell­schaftlichen Nutzen zu stiften und dabei nicht vor Veränderungen des Geschäfts­modells zurückzuschrecken. Dieser Nutzen ist nicht nur kommunikativ zu behaupten, sondern muss konkret belegt werden. Dies erfordert einen kontinuierlichen und nach­haltigen Abgleich und Dialog mit allen Stakeholdern. Haltung und Strategie sind auf das Engste miteinander verbunden. Purpose ist, wird er ernstgenommen, ein strategischer Paradigmen­wechsel und kein kommunikatives Leuchtfeuer. Die Diskussionen darüber werden ganz entscheidend die 2020er Jahre prägen und in allen Unternehmen einen „Big Business Change“ gestalten.

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Foto: iStock.com/scyther5