Corona verändert die Einstellung zur Wissenschaft – Unternehmen können davon nur profitieren
Die aktuelle Krise hat das Zeug, das Zusammenwirken von Wirtschaft und Wissenschaft grundlegend zu ändern. Wird diese Chance von Unternehmen richtig genutzt, kann sie bereits vorhandene Ansätze, die auf eine stärkere Nutzbarmachung der wissenschaftlichen Forschung für die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft setzen, beschleunigen.
Das Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaft ist im Wandel begriffen. Überlegungen zur gesellschaftlichen Wissensproduktion führten schon zur Jahrtausendwende zur populären Metapher der „Triple Helix“, bei der Wissenschaft, Wirtschaft und Politik als drei zunehmend miteinander verschränkte Bereiche verstanden werden, die nur in ihrer Wechselwirkung die Potenziale der Wissensproduktion entfalten können.
Aktuell erleben wir durch die Corona-Pandemie eine Konjunktur von Wissenschaftlichkeit. Rationalität und die Erkenntnisse der Forschung haben plötzlich einen neuen Stellenwert in unserem Alltag. Sinnfälligsten Ausdruck findet das in den öffentlichen Auftritten von Virologen und Epidemiologen, die mit ihrer Arbeit die Grundlage für politische Entscheidungen legen. Eine ausgeprägte Fundierung in der Wissenschaft gab es bereits bei der „Fridays for Future“-Bewegung, die bis vor kurzem die Schlagzeilen in den westlichen Industrienationen bestimmte. Ihr Credo „unite behind the science“ gibt die Richtung vor. Aus wissenschaftlicher Erkenntnis wird so politische und gesellschaftliche Aktion.
Zusammenarbeit mit der Wissenschaft – ein lohnendes Risiko für Unternehmer
Klar ist: Wenn es eine fruchtbare Wechselwirkung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft geben soll, muss sie einen stärkeren Ausdruck finden als lediglich in der Etablierung eines selten tagenden wissenschaftlichen Beirats. Was es braucht, ist ein konstanter Austausch auf Augenhöhe und eine Verschränkung zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens und der Perspektive der wissenschaftlichen Forschung. Letztere muss dabei immer unabhängig sein und darf nicht einmal in den Verdacht geraten, dem Renommee eines Unternehmens zu dienen. Eine entsprechende Konstellation ist folglich für das Unternehmen immer mit einem Risiko verbunden. Eine selbst initiierte Zusammenarbeit mit Experten und Forschern, durch die am Ende Entscheidungen der Unternehmensführung in Frage gestellt oder ethische Aspekte aufgeworfen werden, kann beträchtlichen Reputationsschaden erzeugen. Gleichzeitig schafft aber nur diese Freiheit einen echten Mehrwert, der einem Unternehmen nützt, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wissenschaftliche Unabhängigkeit ist die Basis für eine erfolgreiche Kommunikation des Unternehmens nach außen – gerade bei schwierigen Themen.
Neubewertung von Wissenschaft verändert Öffentlichkeit
Die gerade stattfindende gesellschaftliche Neubewertung von Wissenschaft nützt dabei insbesondere Branchen, die bisher häufig einen schweren Stand in der Debatte hatten. So konnte sich etwa die chemisch-pharmazeutische Industrie trotz fundierter wissenschaftlicher Studien oft nur schwer gegen den öffentlichen Furor behaupten, der sich gegen eine auf gentechnischer Veränderung basierende Innovation richtete. Die wissenschaftliche Fundierung des handelnden Unternehmens wurde im öffentlichen Diskurs von vornherein allzu oft als Gefälligkeitsgutachten abgetan.
Die Erfahrung zeigt dabei: Sobald ein Thema in der öffentlichen Debatte eine negative emotionale Konnotierung erhalten hat, verbietet sich häufig eine intensive sachliche Debatte über Für und Wider entsprechender Innovationen. Einer verfestigten öffentlichen Meinung ist im Nachhinein kaum beizukommen – umso wichtiger ist es, ihrem Entstehen durch die Schaffung von ernsthafter und ernstzunehmender wissenschaftlicher Reputation von vornherein entgegenzutreten.
Austausch von Wirtschaft und Wissenschaft braucht Räume
Was für viele Menschen heute wie selbstverständlich zum Alltag gehört, begann einst in den Köpfen visionärer Denker und Firmengründer. Sie hatten Ideen, die später ganze Märkte tiefgreifend verändern sollten – und alte Technologien überflüssig machten. Die Fachwelt spricht dabei von Sprung- oder „disruptiven“ Innovationen. Deutschland ist ein Innovationsland: Es ist stark in Wissenschaft und Forschung. Es verbessert stetig seine Technologien, Produkte und Dienstleistungen. Es ist Europameister bei Patentanmeldungen und behauptet sich im internationalen Wettbewerb. Damit das auch in Zukunft so bleibt, muss Deutschland alle Potenziale ausschöpfen und auf dem Weg von der Idee zum innovativen Produkt noch schneller werden.
Wichtige Ansätze sind bereits vorhanden. So gibt es mit der „Agentur für Sprunginnovationen“ seit 2019 eine öffentlich geförderte Einrichtung, die gezielt hochinnovative Ansätze fördert und die Verknüpfung zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik unterstützt. Gleiches gilt für das zu Jahresbeginn gestartete Programm der Bundesregierung, durch das in erster Linie kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) mit einem besonders innovativen Forschungsansatz unterstützt werden. Solche Ansätze „von oben“ sind ausgesprochen wichtig für eine stärkere Verknüpfung von Forschung und Markt. Diese muss aber zum Common Sense werden und noch stärker von den Unternehmen selbst initiiert und befördert werden. Nur so wird sich der Innovationsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb im Post-Corona-Zeitalter behaupten. Forschungs- und Entwicklungsarbeiten mit Innovationspotenzial und Forschungsansätze, die das Zeug haben, bisherige Geschäftsmodelle durch komplett neue zu ersetzen, müssen zügig ihren Weg zur Marktreife finden.
Wirtschaft muss Vernetzung selbst fördern
Voraussetzung dafür sind Strategien, die auf einen Dialog zwischen Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft abzielen. Es braucht gemeinsame Bühnen. Die wissenschaftliche Fundierung unternehmerischen Handelns wird immer mehr zu einer Schlüsselaufgabe des Managements – und zu einer notwendigen Bedingung für die Akzeptanz vor allem von nachhaltig agierenden Investoren. Ein zentraler Ansatz sind hier thematisch zugespitzte Vernetzungsplattformen, die von der Wirtschaft – einzelnen Unternehmen oder Branchenverbänden – ins Leben gerufen werden. Hier tauschen sich Experten aus Forschungsinstituten, Unternehmen, NGOs, der Start-up-Szene sowie Forschungs- und Wirtschaftspolitiker mit Hilfe einer externen Moderation aus. Es geht darum, gemeinsame Fragestellungen zu diskutieren und Projekte und Ansätze für eine Kooperation zu identifizieren. Denn nur durch den konstanten Austausch aller Akteure können die Reibungsverluste bei hochinnovativen Ideen begrenzt und gleichzeitig kann der Marktzugang für Ergebnisse aus der Forschung beschleunigt werden. Das kann allerdings nur funktionieren, wenn der Dialog der Partner – wie eingangs beschrieben – auf Augenhöhe stattfindet.
Nehmen wir den Gedanken der Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft ernst, kann Deutschland seinen bestehenden Vorteil als innovativer Global Player halten und ausbauen.
Lesen Sie hierzu auch den Beitrag „Eine neue Kultur des gegenseitigen Verstehens – Wie die Corona-Krise das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft verändert“.
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