Transformation Quarterly 02_2024

Von Serkan Agci

Der Ton zwischen Politik und Wirt­schaft in Deutsch­land war schon mal freund­licher. Lang ist es her, dass im Kanzler­amt ein „Genosse der Bosse“ die Macht innehatte. Seinem Nach-Nachfolger als Bundes­kanzler und der gesamten Ampel­koalition wirft BDI-Präsident Siegfried Russwurm vor, ihre Regierungs­zeit seien verlorene Jahre. Solche Kritik ist zunächst mal nichts Unge­wöhnliches, weil Politik nicht nur die Interessen der Unter­nehmen verfolgen kann, sondern weil Regierungs­handeln stets auf den Ausgleich von vielen Interessen ausge­richtet sein muss. Doch auf­fällig ist die Schärfe in der Tonalität, mit der die Arbeit­geber:innen den Kanzler und die ihn stützenden drei Parteien attackieren.

Sicher, es gibt einige Gründe für die Unzu­friedenheit der Manager:innen mit der Ampel­koalition: die hohen Energie­preise, die ausufernde Bürokratie, die Steuer- und Abgaben­last oder der schleppende Ausbau der digitalen Infra­struktur. Dazu passt dann auch das aktuelle Ranking des IMD zur Wett­bewerbs­fähigkeit, wonach Deutsch­land nur noch auf dem 24. Platz liegt.

Die Kritik aus der Wirt­schaft, meistens verstärkt durch mediale Begleit­musik, hat auf der anderen Seite dazu geführt, dass aus der Politik Vorwürfe gegen die Arbeit­geber laut werden, diese hätten Trends und inter­nationale Ent­wicklungen, etwa bei der Elektro­mobilität, verschlafen und seien zu wenig innovativ. Auch an diesen Vorwürfen ist etwas dran. Doch trägt es zur Stärkung des Stand­orts Deutsch­land bei, wenn sich Politik und Wirtschaft in scharfer Form den schwarzen Peter für Versäum­nisse in der Vergangen­heit und fehlende Ent­scheidungen in der Gegen­wart zuschieben?

Ein Blick auf die Ergebnisse der Europa­wahl und auf die anhaltend hohen Zustimmungs­werte für die AfD zeigt, wer davon am Ende profitiert. Der für den wirt­schaft­lichen Erfolg und den gesell­schaft­lichen Zusammen­halt so wichtige Dialog zwischen Politik und Wirt­schaft darf angesichts der immensen innen- und außen­politischen Heraus­forderungen nicht abreißen. Er muss gerade jetzt wieder­belebt werden. Öffent­liche Beziehungs­arbeit ist elementar, um Brücken zu bauen, Türen in beide Richtungen zu öffnen und Verständnis füreinander zu entwickeln.

Im Vergleich zu Kungel­runden im Hinter­zimmer in der Vergangen­heit ist Public Affairs heute ein weit­gehend transparenter Prozess. Dafür sorgen das nochmals verschärfte Lobby­register des Deutschen Bundes­tages sowie eine viel­fältige Medien­land­schaft, die sich zwar stark verändert hat, aber ihren im Grund­gesetz verankerten Kontroll­auftrag weiterhin erfüllt. Die politische Interessen­vertretung für ein Unter­nehmen wahr­zunehmen, bedeutet vor dem Hinter­grund der Verän­derungen in den Medien, einen deut­lich breiteren Ansatz zu verfolgen, als sich nur auf die klassischen Gespräche mit Ab­geordneten und Mit­arbeitenden in Ministerien zu beschränken. Folgende Punkte sind aus unserer Sicht dabei wichtig:

  1. Es ist eine proaktive Kommunikation zu organisieren, das heißt, es ist Klienten zu vermitteln, dass es alle­mal besser ist, vor die Welle zu kommen.
  2. Angesichts der starken Vernetzung in der global-digitalisierten Welt bekommt das Stakeholder-Engagement eine neue Qualität. Es sollte breit angelegt sein und angesichts einer zu beob­achtenden Skepsis in der Bevölkerung gegenüber politischen und unter­nehmerischen Ent­scheidungen auch immer – da, wo möglich – Vertreter:innen der Gewerk­schaften, von Nicht­regierungs­organisationen oder Bürger­initiativen einbeziehen.
  3. Die globalen Veränderungen, die etwa durch das Erstarken Chinas als politischer, wirt­schaftlicher und militärischer Macht­faktor in den inter­nationalen Beziehungen und den russischen Angriffs­krieg auf die Ukraine entstanden sind, erfordern eine stärkere Risiko­vorsorge und Resilienz. Es liegt im Interesse von Politik und Unter­nehmen, dass Liefer­ketten funktionieren und im globalen Wett­bewerb für alle im Markt die gleichen Bedingungen herrschen.
  4. Auch wenn das Thema Nach­haltig­keit inzwischen auch eine negative Konnotation erfährt, so bleibt der Kampf gegen den Klima­wandel und Ressourcen­verschwendung eine dringende Aufgabe. Sie wird aber nur erfolg­reich zu lösen sein, wenn politische Ent­scheidungen nicht zu einer Über­forderung von Unter­nehmen und Verbraucher:innen führen. Umgekehrt geht es darum, das Bewusst­sein für die Not­wendig­keit von Maßnahmen zum Erhalt von Klima und Umwelt sowie zur Vermeidung von Pandemien wie zuletzt bei Corona zu schärfen.

Der gesell­schaft­liche Wandel und die technischen Umwälzungen, wie sie sich durch Digita­lisierung und Künstliche Intelligenz voll­ziehen, erfordern den Dialog zwischen Akteur:innen aus Politik und Unternehmen. Verstärkt wird dieser Bedarf durch meist aus dem Ausland gesteuerte Desinformationskampagnen. Der Kampf für eine Erholung des Wirtschaftsstandorts, der einhergeht mit einem Kampf gegen das Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland, braucht die Stimmen aus beiden Lagern. Es geht nicht darum, aus Unter­nehmen einen poli­tischen Betrieb zu machen, oder umgekehrt darum, politische Ent­scheidungen in der Art und Weise zu treffen, wie dies in Unter­nehmen geschieht. Christian Kullmann, Vorstands­vorsitzender des Chemie­konzerns Evonik, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: Nationalismus schade der Wirt­schaft, dem Wachstum und dem Wohl­stand einer Gesell­schaft. Bei allen Differenzen, die es letzt­lich immer gegeben hat, machen wir als Beratungsunternehmen an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Medien die Erfahrung, dass die gemein­same Suche nach Lösungen jederzeit, aber insbesondere in wirtschaft­lich schwierigen Phasen für alle Akteur:innen Erfolg ver­sprechender ist als das schlechte Reden über­einander. 

Foto: iStock.com/Lutz Berlemont-Bernard

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