Von Serkan Agci
Der Ton zwischen Politik und Wirtschaft in Deutschland war schon mal freundlicher. Lang ist es her, dass im Kanzleramt ein „Genosse der Bosse“ die Macht innehatte. Seinem Nach-Nachfolger als Bundeskanzler und der gesamten Ampelkoalition wirft BDI-Präsident Siegfried Russwurm vor, ihre Regierungszeit seien verlorene Jahre. Solche Kritik ist zunächst mal nichts Ungewöhnliches, weil Politik nicht nur die Interessen der Unternehmen verfolgen kann, sondern weil Regierungshandeln stets auf den Ausgleich von vielen Interessen ausgerichtet sein muss. Doch auffällig ist die Schärfe in der Tonalität, mit der die Arbeitgeber:innen den Kanzler und die ihn stützenden drei Parteien attackieren.
Sicher, es gibt einige Gründe für die Unzufriedenheit der Manager:innen mit der Ampelkoalition: die hohen Energiepreise, die ausufernde Bürokratie, die Steuer- und Abgabenlast oder der schleppende Ausbau der digitalen Infrastruktur. Dazu passt dann auch das aktuelle Ranking des IMD zur Wettbewerbsfähigkeit, wonach Deutschland nur noch auf dem 24. Platz liegt.
Die Kritik aus der Wirtschaft, meistens verstärkt durch mediale Begleitmusik, hat auf der anderen Seite dazu geführt, dass aus der Politik Vorwürfe gegen die Arbeitgeber laut werden, diese hätten Trends und internationale Entwicklungen, etwa bei der Elektromobilität, verschlafen und seien zu wenig innovativ. Auch an diesen Vorwürfen ist etwas dran. Doch trägt es zur Stärkung des Standorts Deutschland bei, wenn sich Politik und Wirtschaft in scharfer Form den schwarzen Peter für Versäumnisse in der Vergangenheit und fehlende Entscheidungen in der Gegenwart zuschieben?
Ein Blick auf die Ergebnisse der Europawahl und auf die anhaltend hohen Zustimmungswerte für die AfD zeigt, wer davon am Ende profitiert. Der für den wirtschaftlichen Erfolg und den gesellschaftlichen Zusammenhalt so wichtige Dialog zwischen Politik und Wirtschaft darf angesichts der immensen innen- und außenpolitischen Herausforderungen nicht abreißen. Er muss gerade jetzt wiederbelebt werden. Öffentliche Beziehungsarbeit ist elementar, um Brücken zu bauen, Türen in beide Richtungen zu öffnen und Verständnis füreinander zu entwickeln.
Im Vergleich zu Kungelrunden im Hinterzimmer in der Vergangenheit ist Public Affairs heute ein weitgehend transparenter Prozess. Dafür sorgen das nochmals verschärfte Lobbyregister des Deutschen Bundestages sowie eine vielfältige Medienlandschaft, die sich zwar stark verändert hat, aber ihren im Grundgesetz verankerten Kontrollauftrag weiterhin erfüllt. Die politische Interessenvertretung für ein Unternehmen wahrzunehmen, bedeutet vor dem Hintergrund der Veränderungen in den Medien, einen deutlich breiteren Ansatz zu verfolgen, als sich nur auf die klassischen Gespräche mit Abgeordneten und Mitarbeitenden in Ministerien zu beschränken. Folgende Punkte sind aus unserer Sicht dabei wichtig:
- Es ist eine proaktive Kommunikation zu organisieren, das heißt, es ist Klienten zu vermitteln, dass es allemal besser ist, vor die Welle zu kommen.
- Angesichts der starken Vernetzung in der global-digitalisierten Welt bekommt das Stakeholder-Engagement eine neue Qualität. Es sollte breit angelegt sein und angesichts einer zu beobachtenden Skepsis in der Bevölkerung gegenüber politischen und unternehmerischen Entscheidungen auch immer – da, wo möglich – Vertreter:innen der Gewerkschaften, von Nichtregierungsorganisationen oder Bürgerinitiativen einbeziehen.
- Die globalen Veränderungen, die etwa durch das Erstarken Chinas als politischer, wirtschaftlicher und militärischer Machtfaktor in den internationalen Beziehungen und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine entstanden sind, erfordern eine stärkere Risikovorsorge und Resilienz. Es liegt im Interesse von Politik und Unternehmen, dass Lieferketten funktionieren und im globalen Wettbewerb für alle im Markt die gleichen Bedingungen herrschen.
- Auch wenn das Thema Nachhaltigkeit inzwischen auch eine negative Konnotation erfährt, so bleibt der Kampf gegen den Klimawandel und Ressourcenverschwendung eine dringende Aufgabe. Sie wird aber nur erfolgreich zu lösen sein, wenn politische Entscheidungen nicht zu einer Überforderung von Unternehmen und Verbraucher:innen führen. Umgekehrt geht es darum, das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Maßnahmen zum Erhalt von Klima und Umwelt sowie zur Vermeidung von Pandemien wie zuletzt bei Corona zu schärfen.
Der gesellschaftliche Wandel und die technischen Umwälzungen, wie sie sich durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz vollziehen, erfordern den Dialog zwischen Akteur:innen aus Politik und Unternehmen. Verstärkt wird dieser Bedarf durch meist aus dem Ausland gesteuerte Desinformationskampagnen. Der Kampf für eine Erholung des Wirtschaftsstandorts, der einhergeht mit einem Kampf gegen das Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland, braucht die Stimmen aus beiden Lagern. Es geht nicht darum, aus Unternehmen einen politischen Betrieb zu machen, oder umgekehrt darum, politische Entscheidungen in der Art und Weise zu treffen, wie dies in Unternehmen geschieht. Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns Evonik, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: Nationalismus schade der Wirtschaft, dem Wachstum und dem Wohlstand einer Gesellschaft. Bei allen Differenzen, die es letztlich immer gegeben hat, machen wir als Beratungsunternehmen an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Medien die Erfahrung, dass die gemeinsame Suche nach Lösungen jederzeit, aber insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Phasen für alle Akteur:innen Erfolg versprechender ist als das schlechte Reden übereinander.
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