Unter verschärfter Beobachtung
Warum Unternehmen sich in der Krise mehr denn je erklären müssen
"Unser Land braucht Unternehmen, die soziale Verantwortung übernehmen", sagt die Politik. "Wir brauchen Unternehmen, die auch jetzt nicht in ihren Klimaanstrengungen nachlassen", mahnt der Chef eines großen Umweltverbandes. "Die Welt braucht Unternehmen, die sich nicht ausschließlich über Rendite definieren", befindet der Friedensnobelpreisträger.
Unternehmen haben es nicht leicht, den Ansprüchen ihrer Stakeholder gerecht zu werden – schon gar nicht in der aktuellen Wirtschaftskrise. In einer Situation, in der Großkonzerne um finanzielle Unterstützung des Staates buhlen und in der manch einer an den Grundfesten unseres Wirtschaftssystems rüttelt, geraten sie mehr denn je ins Rampenlicht. Hat das Unternehmen ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell? Welchen Beitrag leistet es für unseren Standort und für die Gesellschaft? Ist es eines, dem man hinreichend Investitions- und Innovationskraft zutraut? Und wird es nicht nur wirtschaftlich erfolgreich, sondern auch nach moralischen Maßstäben "anständig" geführt? Politik, Medien, Bürger – sie alle reden mit, wenn es um vermeintlich ureigene unternehmerische Belange geht.
Gestörte Beziehung
Schon lange bevor die jüngste Wirtschaftskrise die Welt heimgesucht hat, mussten Unternehmen lernen, sich im Spannungsfeld unterschiedlicher Anspruchsgruppen und widerstreitender Interessen zu bewegen. Die Krise macht diese Aufgabe nicht einfacher, denn nun schaut die Gesellschaft noch sehr viel genauer hin. Der Blick konzentriert sich dabei auf jene, die nach allgemeinem Dafürhalten zu verantworten haben, was schief gelaufen ist: die Manager und Führungseliten.
Ihnen misstraut man in der Krise mehr als zuvor. So wird Topmanagern nur noch von 33 Prozent der Menschen in Europa und den USA Vertrauen entgegengebracht, wie das Nürnberger Marktforschungsunternehmen GfK in einer im Juni 2009 veröffentlichten Studie herausgefunden hat (2008: 36 Prozent). In Deutschland sind es gar nur 15 Prozent der Befragten! In keinem anderen Land ist die Vertrauenskrise zwischen Bürgern und Managern so evident wie bei uns.
Volkes Zorn
Unternehmenslenker sind in dieser Gemengelage gut beraten, sich noch sorgfältiger als bislang mit den Erwartungen und Anforderungen der unterschiedlichen Stakeholdergruppen auseinander zu setzen.
Zum einen mit einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit. Sie verfolgt unternehmerisches Wirken jetzt mit doppelter Wachsamkeit. Was ein Wirtschaftsunternehmen tut und was es lieber sein lässt, wird ohnehin nicht mehr allein in den Managementetagen, sondern immer mehr auf dem Markt der öffentlichen Meinung entschieden. Immer häufiger hängen zum Beispiel Erfolg oder Scheitern großer Investitionsvorhaben in Deutschland vom guten Willen des Volkes ab. Bürger machen mobil, sobald sie sich durch unternehmerisches Handeln in ihrer Freiheit eingeschränkt oder Umwelt und Gesundheit in Gefahr glauben. Das von manchen unterstellte Versagen des Systems wird diese Klientel darin bestärken, Unternehmungen der Privatwirtschaft in Frage zu stellen, denn „denen da oben“ traut man nun noch weniger über den Weg.
Die Medien wiederum greifen solche Konflikte dankbar auf. Getrieben von der Jagd nach Auflage berichten sie vielfach holzschnittartig, statt Hintergründe sorgfältig zu beleuchten – und schüren manchmal so erst den Skandal. Ein Trend, der sich in Zukunft noch verstärken dürfte, schließlich geht die Wirtschaftskrise auch an den Verlagen nicht spurlos vorbei.
Veränderte Spielregeln
Zum Zweiten ist der Kapitalmarkt zu bedienen. Die Erschütterungen der Finanzkrise haben die Spielregeln verändert. Nicht mehr kurzatmige Performancebetrachtungen, sondern Langfristperspektiven und Nachhaltigkeit sollen die Kursphantasie beflügeln. Zwar ist noch immer das nackte Zahlenmaterial wichtig. Aber daneben gewinnen grundsätzliche Parameter wie Geschäftsmodell, Strategie und Marktbewertungen an Bedeutung – und werden deutlich stärker hinterfragt: Wo soll euer Wachstum überhaupt herkommen? Warum seid ihr euch so sicher, dass der Markt euch nächstes Jahr noch braucht? Wie wollt ihr den großen Herausforderungen begegnen, die eure Märkte von Grund auf verändern werden? Angesichts derartiger Fragen ändert sich der Erklärungsbedarf gegenüber Analysten, Kapital- und Kreditgebern. Wer heute am Kapitalmarkt um Zutrauen wirbt, muss seine unternehmerische Story neu erzählen.
Drittens gilt es die Verbraucher zu befrieden. Sie verlangen nicht nur Qualität, guten Service und faire Preise. Sensibilisiert durch die Wirtschaftskrise, die vor allem auch eine Vertrauenskrise ist, werden sie von Unternehmen künftig ein besonders hohes Maß an Transparenz und Integrität einfordern. Das gilt zuallererst für Bankinstitute, die den Beweis antreten müssen, dass sie sich tatsächlich von Kundenbedürfnissen und nicht von Gier leiten lassen. Das gilt aber genauso für alle anderen Unternehmen, die im Verdacht stehen, den eigentlichen Sinn unternehmerischen Handelns – und damit die Kunden – aus den Augen verloren zu haben. Übertriebenes Gewinnstreben, Misstrauen gegenüber den eigenen Leuten, persönliche Vorteilnahme – welche Vorwürfe auch immer den Unternehmen entgegenschlagen, sie hinterlassen deutliche Spuren im Blick der Kunden auf das Unternehmen. Auch wenn das nicht gleich und unmittelbar spürbar wird.
Gerechtigkeitsdebatte reloaded
Diese Vorwurfslage entfacht wiederum Debatten, die viertens eine intensive Auseinandersetzung mit der Politik nach sich ziehen. Die hat in der Gunst der Stunde zum Beispiel die Diskussion um die Legitimität von Managergehältern, Bonuszahlungen und Abfindungen befeuert. Wobei die vehemente Einflussnahme der Politik auf Rahmen und Handlungsspielraum der Wirtschaft kein Phänomen der Krise bleiben wird. Aus der Debatte um die Frage "Wie viel staatliche Kontrolle braucht die Wirtschaft?"; erwächst vielmehr ein Gefechtsfeld zwischen Wirtschaft und Politik, das seitens der Unternehmen auf lange Sicht zu bearbeiten ist.
Fünfte Anspruchsgruppe sind last not least die Mitarbeiter. Kurzarbeit, Restrukturierung, Insolvenz – nie gibt es mehr Fragen, mehr Unsicherheit und weniger Kommunikation als in der Ausnahmesituation. Doch gerade dann müssen sich Unternehmen erklären, die Notwendigkeit von schmerzhaften Veränderungen und radikalen Einschnitten deutlich machen oder doch zumindest Sorgen nehmen und Perspektiven geben.
Fazit: Der Erklärungsdruck, unter dem Unternehmen in Deutschland stehen, ist während der vergangenen 20 Jahre im Zuge immer dynamischerer Veränderungsprozesse ohnehin deutlich gewachsen. Mit der Krise wächst dieser Druck, und die Frage, ob sich ein Unternehmen noch allen Stakeholdern erklären kann oder nicht, wird zur Überlebensfrage.
Eine Gesellschaft, die sich in ihrem Misstrauen gegenüber den Führungsriegen bestätigt sieht. Politiker, die die Wirtschaft in einem bislang nicht gekannten Ausmaß reglementieren. Kritische Kunden. Verunsicherte Arbeitnehmer. Um ihre Handlungsspielräume zu verteidigen, müssen Unternehmen den Wahrnehmungen, Anspruchshaltungen und Diskursmustern all dieser Interessengruppen mit einer strukturierten Kommunikationspolitik gerecht werden. Darin liegt im Übrigen eine große Chance. Denn bislang haben sich die wenigsten als gute Erklärer der Krise und ihrer Folgen hervorgetan.