Deutschland wird nach einem ununterbrochenen Wirtschaftsaufschwung von einem Jahrzehnt in diesem Jahr die schwerste Rezession der Nachkriegsgeschichte erleben. Folgerichtig ist die Berichtssaison 2020 von massiven Unsicherheiten geprägt. Viele Unternehmen haben ihre Prognose zurückgenommen bzw. keine neuen Prognosen für das laufende Geschäftsjahr mehr aufgestellt. Die Aktionäre scheinen dies angesichts der Ausnahmesituation durch die Corona-Pandemie zu akzeptieren. Die folgende Analyse wesentlicher Hauptversammlungen dieses Frühjahrs zeigt, welche neuen inhaltlichen Schwerpunkte die Unternehmen und ihre CEOs setzen.
Aufgrund der aktuell hohen Unsicherheit haben einfache Messzahlen wie „Earnings per Share“ keine große Bedeutung mehr. Wichtiger sind Aussagen, wie die Unternehmen durch die Krise kommen und wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Herausforderungen bewältigen. Im Vordergrund stehen Äußerungen zur Kontinuität des Geschäfts und zum Aufbau von unternehmerischer Resilienz. Hinzu kommt der erkennbare Wunsch, sich als Unternehmen in der Mitte der Gesellschaft zu positionieren, auch als Schutz vor einer wahrgenommenen wachsenden Kritik an der Marktwirtschaft.
ESG rückt zunehmend in den Fokus
Die CEOs sind gefordert, in diesem „Perfect Storm“ Orientierung zu geben und den Stakeholdern Vertrauen in die eigene Stärke zu signalisieren. Wie die Analyse der Reden auf den meist virtuellen Hauptversammlungen zeigt, erfolgt eine klare Orientierung an den Kriterien des ESG (Environment, Social, Governance). Nach einem überaus starken Wachstum der ökologisch ausgerichteten Anlageformen – des E in der Triade ESG – in den vergangenen Jahren erlangen nun die Fragen des Sozialen, also des Zusammenhalts im Unternehmen, und das „gemeinsame Anpacken“ eine stark zunehmende Bedeutung.
Viele Unternehmen machen deutlich, dass Inklusion und das Miteinander aller Beschäftigten für sie eine starke Gewichtung haben. Der Dank an die Mitarbeiter wirkt bei den Reden in diesem Jahr weniger pflichtschuldig und damit ernster gemeint als in den Vorjahren. Darüber hinaus sind sich die CEOs einig, dass Deutschland mit der Corona-Krise auch einen Digitalisierungs-Schub erleben wird. Jetzt geht es darum zu zeigen, welche Lehren aus der Corona-Krise gezogen werden und welchen Einfluss dieses auf die Führungsprinzipien für die kommenden Jahr hat.
Deutsche Wirtschaft vor Umschwung
Zur Diskussion steht nicht weniger als das traditionelle Business-Modell der deutschen Wirtschaft. Der Export als Zugpferd der deutschen Industrie ist stark von der Pandemie betroffen, traditionelle Wertschöpfungsketten sind zusammengebrochen. Insofern sind großzügige Staatshilfen, die dem Europäischen Binnenmarkt wieder auf die Beine helfen, im ureigenen Interesse der deutschen Wirtschaft. Auch dies machen die Aussagen der CEOs deutlich.
Die Aussagen aus den HV-Reden der Vorstandsvorsitzenden decken die genannten Bereiche ab und verdeutlichen die durch die Corona-Krise veränderte neue Schwerpunktsetzung. Im Folgenden sind wichtige Äußerungen verschiedener CEOs stichpunktartig zusammengefasst:
Timotheus Höttges, Deutsche Telekom: Inklusion voranbringen und durch Digitalisierung Chancen für breite Bevölkerung schaffen
Höttges macht in seiner Rede klar, dass die Deutsche Telekom den Wandel so gestalten will, dass eine Teilhabe möglichst großer Teile der Bevölkerung realisierbar ist. Dieser Anspruch zahlt ein auf das aus der Werbung bekannte „Seid Alle Dabei“, führt aber thematisch gut durch die Erlebnisse des Lockdowns. Entsprechend stellt Höttges auch klar, dass die „Gemeinsam“-Themen die HV bestimmen und nicht neue Produkte und Innovationen, die traditionell in den Vordergrund gestellt werden. Für Höttges ist klar, dass die Deutsche Telekom maßgeblich dazu beiträgt, die Digitalisierung in Deutschland und Europa voranzubringen. Er stellt heraus, dass dieses „Miteinander“ auch auf dem Engagement der eigenen Mitarbeiter beruht. So ist im Homeoffice der Krankenstand gesunken und die Produktivität gestiegen. Inklusion aller Mitarbeiter wird als Führungsprinzip hervorgehoben, ebenso erfolgt eine starke Betonung weiterer Social-Themen und der von den Mitarbeitern gelebten Verantwortung. Ebenso stellt Höttges heraus, dass Diversity und Vielfalt den Arbeitsalltag der Deutschen Telekom bestimmen – eine deutliche Positionierung in Zeiten von „Black Lives Matter“. Und natürlich ist der mittlerweile genehmigte Zusammenschluss von T-Mobile und Sprint in den USA ein wichtiges Thema für Höttges, denn es verspricht starkes Wachstum und eine Untermauerung des Anspruchs „Lokal handeln, global vernetzen“. Die Prognose des Unternehmens bleibt erstmal unverändert, in wenigen Wochen werden die durch die Fusion sich ergebenden wirtschaftlichen Konsequenzen für den Ausblick ergänzt.
Martin Brudermüller, BASF: Umbau des Konzerns zu mehr Kundennähe und mehr Freiheiten für Mitarbeiter
Ein sehr starkes internationales Geschäft weist auch BASF auf. Folgerichtig hebt Brudermüller in Zeiten der Corona-Pandemie hervor: Wir packen gemeinsam an, sind innovativ. Der CEO weiter: Vieles ist zwar derzeit nicht mehr planbar, aber auf die BASF ist weiter Verlass. Die Beschaffung und kostenlose Abgabe von Desinfektionsmitteln an Krankenhäuser nennt Brudermüller als Beispiel, wie sich BASF für die Gesellschaft einbringt. Ebenso wurden Schutzmasken besorgt und gespendet. Ganz allgemein stellt der CEO klar, dass Gesundheit das vorrangige Thema in der Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs ist. 40.000 Mitarbeiter arbeiten von zu Hause aus. Auch die Rolle von BASF als Vorlieferant und als Garant von Liefersicherheit wird als wichtiges Ziel hervorgehoben. Brudermüller stellt klar, dass der Geschäftsverlauf nach Sektoren unterschiedlich ist, BASF aber über eine hohe Eigenkapitalquote und damit eine starke Widerstandskraft verfügt. Das Unternehmen will am Ziel eines profitablen und nachhaltigen Wachstums festhalten. Dennoch wird es eine Reduktion der Investitionen von 3,4 Mrd. Euro auf 2,8 Mrd. Euro geben. Auch die Wachstumsziele werden überprüft. In Summe will BASF durch strukturelle Veränderungen Hierarchien abbauen, die Mitarbeiter näher an die Kunden bringen und eine Kultur der starken Eigenverantwortung mit mehr Freiheiten für die Mitarbeiter schaffen.
Oliver Bäte, Allianz: Hohe Anforderungen gemeistert, weil Mitarbeiter über sich hinausgewachsen
Bei der Allianz standen die Stabilität der Finanzkraft und der Dividendenzahlungen im Vordergrund. Allianz-CEO Bäte zeigte sich stolz auf einen störungsfreien Betrieb: „In der Krise wachsen alle über sich selbst hinaus. Die Motivation ist groß und die Loyalität sehr hoch.“ Er stellt klar, dass die Krise auch dazu geführt hat, dass die Mitarbeiter einen neuen Stolz auf das Unternehmen empfinden. Er benennt als Beispiele das Spenden von Masken, die zusätzliche Einrichtung von Hotlines und die Unterstützung für Kranke. Erreicht wurde aus seiner Sicht, dass die Verbindung zu Kunden gestärkt wurde. Neben diesen Themen bleibt der Klimaschutz eine große unternehmerische Herausforderung. Solche Herausforderungen müsse man als Chance wahrnehmen. Bäte zeigt sich sicher, dass die Allianz diese Krise meistern wird. Aufgrund der deutlich gestiegenen Volatilität auf den Finanzmärkten erfolgte jedoch zum Zeitpunkt der HV keine harte Prognose für das kommende Jahr.
Joachim Wenning, Münchener Rück: Mitarbeiter zeigen aufopferungsvollen Einsatz
Auch für den Chef der Münchener Rück ist die Kapitalmarktschwäche eine klare Belastung, bei einzelnen Versicherungen ist mit weiteren Schäden zu rechnen. Klare Positionierung deshalb: Das Anfang des Jahres genannte Ergebnisziel für 2020 ist so nicht zu halten; das Aktienrückkaufprogramm wird ausgesetzt. Wenning dankte zudem den Kunden und Mitarbeitern für ihren aufopferungsvollen Einsatz. Der Konzern steht wirtschaftlich stark da, Munich Re wird die Krise gut verkraften. Das Unternehmen wird digitaler, schneller und flexibler. Laut Wenning stieg die Effizienz und der Konzern hält an den Zielen zur Steigerung der Nachhaltigkeit fest.
Rolf Martin Schmitz, RWE: Dank der Mitarbeiter sichere Energieversorgung und voranschreitende Transformation
Schmitz sagt sehr deutlich zu Beginn der Rede: „In der Krise beweist sich der Charakter und die Mitarbeiter haben diesen Charaktertest mit Bravour bestanden.“ RWE ist verlässlich rund um die Uhr. Das Unternehmen ist stolz auf die Leistungen der Mitarbeiter. Die wirtschaftlichen Schäden sind enorm durch die Pandemie, hierbei waren vor allem unterbrochene Lieferketten, geschlossene Grenzen und Unterbrechungen bei Projekten ausschlaggebend. Corona hat große Teile der Weltwirtschaft aus den Angeln gehoben. Die EU-Hilfspakete sind richtig, auch in der Größe. Trotzdem geht laut Schmitz der Transformationsprozess in Richtung Klimaschutz weiter. Entscheidend ist demnach der Weg und nicht das aktuelle Portfolio an Geschäftsaktivitäten. RWE ist schon heute einer der größten internationalen Anbieter von Erneuerbaren Energien.
Ola Källenius, Daimler: Loyalität und Zusammenhalt international
Der neue Daimler-CEO stellt klar, dass die fortschreitende Digitalisierung Grundvoraussetzung dafür ist, dass die (digitale) Hauptversammlung überhaupt stattfinden kann. Das Unternehmen ist in 180 Ländern tätig und damit besonders von der Pandemie betroffen. Källenius sprach Dank an Kunden und Mitarbeiter für Loyalität und Zusammenhalt aus. Daimler, so der CEO, hat weiter eine robuste Liquidität. Frühzeitig sind dennoch Anpassungen der Produktion erfolgt und eine Fokussierung der Investitionen auf Zukunftsthemen. Trotz der Krise gab es eine Ausschüttung für 2019 auf bekanntem Niveau. Der CEO sprach auch seinen Dank an staatliche Stellen aus für die geleistete beeindruckende Arbeit. Källenius sucht klar den Schulterschluss mit der Politik. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft sei für die Unternehmen und ihre Arbeit wichtig. Mit Gewerkschaften ist das Unternehmen in Gesprächen für erforderliche weitere Kostensenkungen. Bisherige Sparanstrengungen waren Ausdruck der bestehenden wirtschaftlichen Herausforderungen, die durch die Corona-Krise noch größer geworden sind. Wegen der Krise muss nun „nachgeschärft“ werden. Gleichzeitig ist ein „Spurwechsel Richtung Klimaschutz“ erforderlich. Bis 2039 will Daimler eine CO2-neutrale PKW-Flotte anbieten. Hierbei gilt „Electric first“. Im Finanzbereich sind die Grundlagen für Green Finance geschaffen, erste grüne Anleihen werden herausgegeben. Neben den elektrischen Antrieben wird die Brennstoffzelle wichtiger Teil des zukünftigen Portfolios sein. Källenius stellt klar, dass die Zukunft von Daimler digital und elektrisch ist.
Joe Kaeser, Siemens [1]: Wandel gestalten
Kaeser dankt vorneweg dem Team, das die Vorbereitungen für die Abspaltung der Energie-Aktivitäten trotz der Corona-Krise zeitgerecht abgeschlossen hat. Laut Kaeser ist diese Abspaltung ohne Alternative: „In einer Zeit nie dagewesener Mächtigkeit und Geschwindigkeit des Wandels ist die Fähigkeit, Veränderungen zu antizipieren, sich schnell anzupassen und sich ständig zu verbessern, wichtiger als je zuvor. Wem das nicht gelingt, der hat keine Zukunft. Wem das aber gelingt, der kann die Zukunft gestalten.“ Die neue Gesellschaft wird aus Gründen des Klimaschutzes zügig einen Plan zum Ausstieg aus der Kohleverstromung vorlegen. Kaeser macht damit klar, dass er zukünftig Konflikte von Siemens mit der Klimaschutzbewegung auf jeden Fall vermeiden will.
Werner Baumann, Bayer: Resilienz und Lieferketten stärken
Bayer war das erste Unternehmen im DAX, das seine Hauptversammlung digital ausgerichtet hat. Folgerichtig stellte CEO Baumann klar, dass Bayer gerne digitaler Pionier sei. Leider sei bei einer rein digitalen HV der direkte Austausch mit den Aktionären kaum möglich. Bayer, so Baumann, ist mit seinen Leistungen und Produkten systemrelevant und arbeitet deshalb mit hohen Sicherheitsstandards für die Beschäftigten. Die Sicherung der Produktion und der Lieferfähigkeit stehen dabei im Vordergrund. Konkret benennt Baumann eine Vielzahl von Mitarbeitern, die sich für Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eingesetzt haben. Auch das Unternehmen ist engagiert: Bayer prüft die Produktion von Medikamenten zur Bekämpfung von Corona-Viren, auch mit der Möglichkeit einer kostenlosen Abgabe an die Öffentlichkeit. Mit dem Produktportfolio im Bereich Gesundheit sieht sich Bayer in der Krise gut aufgestellt. Dennoch bestünden viele Unsicherheiten im Blick nach vorne. Eine Gesamtabschätzung sei derzeit kaum möglich. Entscheidend ist es, die Resilienz des Unternehmens zu stärken und Lieferketten abzusichern. Abzuwarten bleibe, so Baumann, wie sich die Corona-Krise auf die Finanzmärkte und die Zahlungsfähigkeit der Kunden auswirke.
Christian Klein, SAP: Verantwortung als globales Unternehmen übernehmen
Vorneweg spricht Klein seinen Dank an die Mitarbeiter für ihren „unermüdlichen Einsatz“ aus. Die Sicherheit für Mitarbeiter und Kunden steht für ihn an erster Stelle. SAP will auch in der Corona-Krise der zuverlässige Partner sein. Das Geschäftsmodell ist robust. SAP will vier Schwerpunkte setzen: 1. Dialogbereit sein für die Mitarbeiter, 2. Fokus auf Kunden beibehalten, 3. Innovationen vorantreiben und 4. Gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.
Rolf Buch, Vonovia: Corona als Unglück und als Chance
Corona sei ein großes Unglück, aber auch eine Chance. Buch appelliert an die Gesellschaft, „die Stopptaste der Natur zu nutzen und die Gesellschaft besser zu machen – demütiger, verständnisvoller und nachhaltiger.“ Vonovia sieht er als Unternehmen als systemrelevant, weil es 1 Mio. Menschen ein Zuhause gibt. Der Schutz der Mitarbeiter stehe an erster Stelle, auch die der Fremdarbeiter – in Zeiten der Diskussionen um Werkverträge kein ungeschickter Hinweis. Die erlebte gesellschaftliche Solidarität in Zeiten der Krise war, so Buch, beeindruckend. Vonovia will mit seinem Geschäftsmodell der Gesellschaft etwas zurückgeben und Teil der Gesellschaft sein. Klare Vorgaben für die Bereiche und Megatrends Urbanisierung, Demografie, Integration und Klimaschutz. Als eines von wenigen Unternehmen nennt Vonovia klare Ergebnisziele für das laufende Geschäftsjahr.
Dies ist eine Zwischenbilanz zu den bislang durchgeführten Hauptversammlungen nach dem Lockdown. Wesentliche Akzentverschiebungen in den Reden der CEOs sind bemerkenswert und verdeutlichen, dass die wirtschaftliche Welt nach Corona nachhaltig neue Schwerpunkte im Miteinander und im internationalen Warenverkehr mit sich bringen wird.
Wenn Sie Fragen oder Interesse am Thema haben, kontaktieren Sie gerne Volker Heck oder Daniela Münster.
[1] Außerordentliche Hauptversammlung zur Abspaltung von Siemens Energy am 09.07.2020. Ordentliche Siemens HV war am 10.02.2020.
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