Kaum ein Thema hat die wirtschaftspolitische Debatte im vergangenen Jahr so sehr geprägt wie der treibhausgasneutrale Umbau der Industrie. Nicht zuletzt befeuert durch die Fridays-for-Future-Bewegung und die Pläne der EU Kommission für einen European Green Deal schienen die gesellschaftlichen Erwartungen und das politische Handeln auf dieses Thema fokussiert. Mancher Industrievertreter vermisste dabei das Augenmaß für das Machbare und forderte eine stärkere Berücksichtigung „klassischer“ industriepolitischer Anliegen wie die Sicherung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze und Produktionsbedingungen am Standort Deutschland ein. Zugespitzt: Wachstum und Wohlstand adé – zugunsten einer einseitigen Fokussierung auf den Klimaschutz?
Mit dem Lockdown der Wirtschaft beherrschen zumindest Fragen von Beschäftigung, sozialen Folgewirkungen oder dem Erhalt von Produktion und Wertschöpfungsketten am Standort Deutschland wieder mehr die öffentliche Debatte. Doch welchen Stellenwert hat der Klimaschutz für die Deutschen auch unter dem Einfluss der Corona-Pandemie – und worauf sollte sich die Wirtschaft einstellen? Die aktuelle Krise könnte zu einer unerwarteten Beschleunigung bei der Einführung neuer grüner Technologien führen und den Weg in die CO2-Neutralität deutlich verkürzen. Darauf deuten die Ergebnisse einer Befragung hin, die das Meinungsforschungsunternehmen civey im Auftrag von Deekeling Arndt/AMO durchgeführt hat.
Klare Absage an die Lockerung von Klimazielen
Die Deutschen erteilen Überlegungen nach einer Lockerung der vereinbarten Klimaziele eine eindeutige Absage. Rund 66 % der Befragten sprechen sich hier für die Einhaltung der vereinbarten Ziele aus, lediglich 27 % stehen einer Beibehaltung skeptisch gegenüber bzw. lehnen diese ab. Bemerkenswert dabei ist, dass sich diese Zustimmung durch alle befragten Altersgruppen zieht und mitnichten ein Phänomen der Fridays-for-Future-Generation ist.
Der Klimaschutz ist den Deutschen auch angesichts einer massiven Wirtschaftskrise und der reellen Bedrohung von Arbeitsplätzen enorm wichtig. Die Krise wird sogar als Möglichkeit gesehen, Klimaschutzbestrebungen weiter auszubauen.
So unterstützen rund 68 % der Befragten eine „grüne“ Ausgestaltung eines möglichen staatlichen Konjunkturpaketes, das auf die Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Krise abzielt. „Grün“ heißt in diesem Fall, dass der Staat gezielt umweltfreundliche und innovative Technologien fördert und so durch finanzielle Anreize zur zügigen CO2-Reduktion beiträgt. Bemerkenswert auch hier die vergleichsweise kleine Gruppe, die solche Maßnahmen ablehnt – gerade einmal rund 19 % sind skeptisch bzw. ablehnend. Auch hier gibt es keine erwähnenswerten Schwankungen zwischen den Altersgruppen.
Steuerliche Belastung als größtes Hindernis bei der Überwindung der Krisenfolgen
Wirft man einen Blick auf die privatwirtschaftlichen Entscheider und ihre Sichtweise auf die Überwindung der Krise, wird der oben beschriebene Eindruck verstärkt. Mit großem Abstand werden Fragen wie die steuerliche Belastung oder die Unternehmensverschuldung als hinderlich bei der Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie betrachtet. Die Energiewende sehen gerade einmal 21 % und die CO2-neutrale Umstellung der Produktion rund 17 % als belastend für einen Weg aus der Krise an.
Angesichts solcher Werte ist nicht davon auszugehen, dass die deutsche Politik grundsätzlich an vereinbarten Zielen – insbesondere was die CO2-Bepreisung und die Vorhaben beim Thema Klimaneutralität angeht – rütteln wird. Auch ein zwingend kommendes Konjunkturpaket wird nicht ohne eine Fokussierung auf grüne Technologien auskommen können. Die vielzitierte Chance der Krise liegt in der Beschleunigung von Transformation.
Wirtschaftsunternehmen müssen sich darauf einstellen, dass Klimaschutz durch Corona nicht einen geringeren, sondern im Gegenteil einen höheren Stellenwert einnehmen wird. Die Grundlagen dafür gilt es jetzt zu legen, um den klimapolitischen Anforderungen nach der Krise souverän begegnen zu können.
Allerdings sind die Chancen für die Industrie deutlich besser geworden, die Erfolgsbedingungen für die Transformation und bestehende Zielkonflikte zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten deutlich zu machen. Wenn ein breiter und offener Dialog über die großen gesellschaftlichen Ziele, die Wege dorthin und die Konsequenzen entsteht, dann hätte die aktuelle Krise für die Wirtschaft zumindest eine positive Begleiterscheinung.
Die Ergebnisse der Umfrage im Detail finden Sie hier. Näheres auch in der Pressemitteilung vom 07.05.2020.
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