Wie die Corona-Krise das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft verändert
Von Benjamin Seifert und Margareta Wolf
Der globale Ausbruch der Corona-Pandemie hat über Nacht zu einer Vollbremsung unserer Gesellschaft geführt. Viele Wirtschaftsunternehmen, ganz gleich welcher Größe, kämpfen mit Auftragsrückgängen, manche sogar um ihre Existenz. Die Politik hat die Dramatik dieser Situation erkannt und beweist Handlungsfähigkeit.
Mit Milliardenbürgschaften und Liquiditätsprogrammen sollen die schlimmsten Härten abgefedert und Unternehmen und Arbeitsplätze geschützt werden. Der Staat ist nach den letzten Beschlüssen von Kabinett, Bundestag und Bundesrat aus beinahe allen Wirtschaftsbereichen nicht mehr wegzudenken. Innerhalb weniger Wochen hat sich die wirtschaftspolitische Debatte angesichts des dramatischen Wachstumseinbruchs in vielen Branchen verändert – so wird über Staatsbeteiligungen nachgedacht und die Idee einer Treuhandgesellschaft 2.0 wird diskutiert.
Zeitgleich rücken Politik, Wirtschaft und auch die Wissenschaft enger zusammen: Der enorme Vertrauenszuwachs, den die Politik trotz harter Entscheidungen momentan erlebt, speist sich auch aus dieser Entwicklung. Es gibt ein neues Gefühl von gesamtgesellschaftlicher Solidarität.
Krise beschleunigt den Wandel im Verhältnis von Wirtschaft und Wissenschaft
Das Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaft war schon seit geraumer Zeit im Wandel begriffen. Die Förderung der akademischen Forschung mit dem Ziel, die Innovationsfähigkeit voranzubringen, wird nicht mehr nur eingefordert, sondern Beobachter sehen tatsächlich eine engere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Unternehmen entstehen. Die Politik spielt dabei eine koordinierende und katalysierende Rolle. Das zeigt sich gerade beispielhaft im Verhältnis zur forschenden Pharmaindustrie und zu Start-ups im Bereich der Impfstoffentwicklung.
Die politischen Entscheidungen der letzten Wochen können diese Entwicklung verstärken. Die Corona-Krise kann in der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft zu einem „gründenden Bruch“ – ein Begriff des französischen Philosophen Michel de Certeau – werden, indem sie der Wirtschaft einen neuen Grad von Akzeptanz und Mündigkeit in der Gesellschaft verleiht. Ausdruck davon sind auch öffentlich wahrgenommene Kooperationen zwischen forschungsstarken Unternehmen, Tech-Startups und praxisorientierten wissenschaftlichen Institutionen. Rationalität, Fachwissen und ideologiefreier Pragmatismus führen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen. Wir erleben das Entstehen eines neuen, verbindenden Vertrauensfaktors in unserer Gesellschaft.
Nun gilt es, verstärkt Voraussetzungen zu schaffen, um den Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland zu stärken und die schon bestehenden und sich weiterentwickelnden Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft zu flankieren. Die Bundesregierung muss sich im Rahmen ihres Vorsitzes der EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 genau dafür einsetzen.
Revitalisierung der Wirtschaft gelingt nur durch Kooperation
Der neue Geist der Kooperation ist eine gute Grundlage für eine Revitalisierung der deutschen Wirtschaft und eine Chance, althergebrachte Vorurteile zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft abzubauen. Diese neue Kultur des gegenseitigen Verstehens kann die Schaffung von Innovations-Plattformen ermöglichen, auf denen Vertreter dieser Gruppen in einen regelmäßigen Austausch kommen. Es geht um zentrale Fragen, wie wir Forschung und Technologie weiterentwickeln, vermarktbar machen und unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken.
Das öffentliche Leben mag zum Erliegen gekommen sein, aber der kreative Diskurs hat sich beschleunigt. Vieles steht zur Debatte: die deutlich gewordenen Schwächen der Globalisierung; die Zukunft der EU; die Folgen der Pandemie, die auch einen Wettbewerb um die globale Führungsrolle hervorgerufen hat. Die Disruption, die wir gerade erleben, kann aber auch dazu führen, dass sich neue Arten der Kooperation durchsetzen und im Entstehen begriffene Entwicklungen beschleunigt werden.
Dr. Benjamin Seifert ist Managing Director bei Deekeling Arndt/AMO und Leiter des Berliner Standorts. Er bringt langjährige Erfahrung als Kommunikator in Bundesministerien sowie im SPD-Parteivorstand und der SPD-Fraktion mit. Margareta Wolf gehört seit vielen Jahren unserem Senior-Advisor-Kreis an. Davor war sie 13 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages und dort in verschiedenen Ämtern tätig, u. a. als wirtschaftspolitische Sprecherin im Fraktionsvorstand von Bündnis 90/Die Grünen und als Parlamentarische Staatssekretärin.
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