Herausforderungen nach dem Brexit

Im Interview mit Deekeling Arndt/AMO (DAA) erläutert der ehemalige Staats­sekretär im Bundes­ministerium für Wirt­schaft und Energie, Matthias Machnig, vor welchen Heraus­forderungen britische Unter­nehmen nach dem Brexit in Europa stehen. Für ihn ist klar, dass sie ihre Interessen nur wirksam durch­setzen können, wenn sie mit Partnern auf dem Kontinent zusammen­arbeiten, die ihnen Zugänge zur Politik und zu gesell­schaft­lichen Debatten ermög­lichen.

DAA: Was sind die funda­mentalen Fragen, denen sich britische Unter­nehmen mit Blick auf ihre Geschäfte in den europäischen Mitglieds­staaten jetzt stellen müssen?

MM: Zunächst würde ich gerne eines deutlich machen: Das Ver­einigte König­reich gehört geographisch, kulturell, aber auch sicher­heits­politisch zu Europa. Nicht zur EU, aber zu Europa. Es geht jetzt darum, ein neues, gemein­sames politisches Projekt zu entwickeln, wie die EU und das Vereinigte König­reich in Zukunft in einer globali­sierten und sich polari­sierenden Welt zusammen­arbeiten können.

Das betrifft eine Viel­zahl von Fragen. Zum einen geht es dabei um ökono­mische Fragen, etwa: Wie können wir – aufbauend auf dem Brexit-Vertrag – zu Lösungen kommen, die den ökono­mischen Austausch und die ökono­mische Zusammen­arbeit in Zukunft möglich machen? Dazu wird man politische Rahmen­bedingungen definieren und auch eine Politik über den Brexit hinaus entwickeln müssen. Dabei kommt der EU-Kommission eine zentrale Rolle zu, dabei spielen aber natürlich auch bilaterale Kontakte eine wichtige Rolle. Es wird darauf ankommen, den Gesprächs­faden zwischen Groß­britannien, der EU und wichtigen Mitglieds­staaten zu verstärken. Es geht jetzt darum, gemein­same Probleme zu identifi­zieren und nach gemein­samen Lösungen zu suchen, um dann zu einer über den Brexit-Vertrag hinaus­reichenden Zusammen­arbeit zu kommen. Dabei werden offizielle Kanäle eine Rolle spielen, aber auch die Kenntnis der politischen und ökono­mischen Situation in der EU und den jeweiligen Mitglieds­ländern. Solche Platt­formen werden an Bedeutung gewinnen und müssen syste­matisch entwickelt werden.

DAA: Und vor welchen Heraus­forderungen stehen britische Unter­nehmen in Fragen der Public Affairs?

MM: Bislang war das Ver­einigte König­reich über die Prozesse in der Europäischen Union an Meinungs­bildungs­prozessen und Informations­flüssen beteiligt. Es war immer klar, was in Europa auf der Agenda steht; Groß­britannien war in alle Prozesse als Beteiligter einge­bunden. Das hat mit dem Brexit ein Ende. Von daher ist es von zentraler Bedeutung für Unter­nehmen, sehr früh­zeitig zu erkennen, in welche Richtung sich Europa in zentralen Fragen der Wirtschafts-, Finanz-, aber auch der Umwelt­politik bewegt. Unter­nehmen brauchen einen Kompass und sie brauchen Platt­formen, um ihre Anliegen in der Europäischen Union und in den jeweiligen Mitglieds­staaten zu adressieren.

DAA: In welchem Ausmaß sind britische Firmen, die in der EU tätig sind, von dortigen regula­torischen Vorgaben betroffen und wie können sie diese noch beein­flussen?

MM: Wer im europäischen Binnenmarkt zukünftig aktiv sein will, z. B. in Form von Exporten aus Groß­britannien in die EU oder eigenen Produktions­kapazitäten, wird sich dem europäischen Recht stellen müssen. Und wir werden im Rahmen des Brexit-Prozesses einiges lernen. Vieles, was gestern selbstverständlich war, ist es heute nicht mehr. Wir stehen vor ganz neuen Heraus­forderungen. Diese zu identi­fi­zieren und auch mit der EU-Kommission und den Mitglieds­staaten Lösungen zu ent­wickeln, wie man angesichts des Brexit zu Formen der ökono­mischen Zusammen­arbeit kommen kann, darin besteht die wesent­liche Aufgabe. Dazu braucht man Mediatoren. Mediatoren, die diese Themen auch platzieren und helfen, zu prakti­kablen Lösungen zu kommen.

DAA: Was sind denn die Hebel, die britische Firmen oder auch die Regierung überhaupt noch haben, um europäisches Recht, dem sie sich stellen müssen, in ihrem Sinne zu beein­flussen? Die politische Kraft ist ja nicht mehr da.

MM: Das Wichtigste ist, auf der Höhe der politischen Diskussion und der Information zu sein. Wer nicht weiß, was passiert – und zwar jenseits dessen, was wir in den Tages­zeitungen lesen können –, weiß gar nicht, wie er reagieren soll. Und deswegen braucht man ein Früh­warn­system für politische Entscheidungs- und Gesetz­gebungs­verfahren. Und man benötigt Zugänge zu den wichtigen politischen Entscheidungs­trägern. Das geht nicht alleine – das war im Übrigen auch schon vor dem Brexit so und wird jetzt eher zunehmen. Dafür braucht man professionelle Unter­stützung, um seine Anliegen zu platzieren. Und zwar politisch, aber auch medial und auch im Hinblick auf mögliche Ko­operationen und Partner in Form von Verbänden oder anderen Unter­nehmen. Dabei geht es immer um die Frage, wie man zu prakti­kablen Lösungen kommen kann. Das Anforderungs­profil ist gestiegen. Darauf müssen sich Firmen einstellen und sie müssen ent­sprechende Instrumente entwickeln.

DAA: Konkret gefragt: Ein mittel­ständischer britischer Konzern hat bisher über bestimmte Verbände oder bilateral mit Geschäfts­partnern Interessen auf dem Kontinent oder in Deutsch­land organisiert bekommen – ändert sich dieses Verfahren oder müsste man da zusätz­liche Kräfte bereit­stellen?

MM: Die Monitoring-Anforderung im Hinblick auf ökono­mische, politische, gesetz­geberische Pro­zesse wird zunehmen. Diese Kapazitäten müssen jetzt aufgebaut werden. Nur so kann sicher­gestellt werden, dass man recht­zeitig auch seine Interessen formulieren und in den politi­schen Prozess einbringen kann. Die normalen Verfahren, die es bislang gab, etwa über die Einbindung in den Entscheidungs- und Willens­bildungs­prozess in der EU, gibt es in dieser Form nicht mehr. Deswegen wird Monitoring – und aus dem Monitoring heraus abzuleitende Maßnahmen – ein größeres und entscheidenderes Gewicht bekommen.

DAA: Und nun in der „Doing-Dimension“: Was müssen britische Unter­nehmen jetzt tun, um in Europa und auf dem dortigen politischen Parkett wieder Gehör zu finden?

MM: Sie müssen neue Partner­schaften aufbauen. Das wird nicht allein auf der Ebene von Regierungs­gesprächen verlaufen, sondern sie brauchen Partner bei Verbänden, bei Institutionen, in den Medien usw. Und dazu brauchen sie Service­leistung, aufbauend auf einer sehr grund­legenden Analyse verschiedener Prozesse. Das ist die Aufgabe, vor der die Unternehmen stehen, und sie benötigen dafür Dienst­leistungen oder Dienst­leister, die ihnen dabei helfen.

DAA: Die Proteste der britischen Fischer machen ja deutlich, dass der Brexit in vielen Wirt­schafts­zweigen massiven Schaden anrichtet. Erleben wir jetzt den Nieder­gang der britischen Volks­wirt­schaft?

MM: Der Brexit wird die britische Ökonomie vor zentrale Heraus­forderungen stellen. Das erleben wir bereits jetzt. Wer sich bestimmte Logistik­ströme anschaut und sich ansieht, wie sie sich verändern und welche bürokra­tischen Zusatz­kosten entstehen, der bekommt ein Gefühl dafür, was gerade passiert. Die britische Wirtschaft steht vor zentralen Heraus­forderungen. Und man darf eines nicht vergessen: Europa ist der wichtigste Handels­partner für Großbritannien – im Übrigen auch einer der wichtigsten Handels­partner für Deutschland. Mit Groß­britannien verlässt ein vom ökono­mischen Volumen her zentraler Partner die Euro­päische Union. Deswegen gilt es, jetzt auch bilateral zu schauen, wie der ökono­mische Schaden, der auf beiden Seiten entsteht, minimiert werden kann und wie neue Formen der Zusammen­arbeit entwickelt werden können. Damit bin ich wieder beim Anfang, denn wie gesagt: Politisch, geographisch, kulturell und sicherheits­politisch gehört Groß­britannien zu Europa. Leider nicht mehr zur Euro­päischen Union.

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