Restrukturierung

Globali­sierung, Digitali­sierung, Dekarboni­sierung – Wirtschaft und Gesell­schaft sind im rasanten und massiven Wandel. Für Unter­nehmen ist der Reformierungs- und Restruktu­rierungs­druck seit Jahren groß. Covid-19 hat diesen Druck noch einmal deut­lich verschärft. Ein wesentlicher Katalysator für die dringend benötigte Vorwärts­bewegung kann eine neue Partner­schaft mit der betrieb­lichen Mit­bestimmung sein.

Eine vertrauens­volle Zusammen­arbeit mit der Mit­bestimmung ist der Ideal­fall. Vor der Krise hat sich ein solch kon­strukti­ves Mit­einander von Unter­nehmens- und Arbeit­nehmer­seite jedoch nicht immer durch­gesetzt. Es hat sich vor allem dort ergeben, wo die gegen­seitigen Beziehungen über Jahre auf­gebaut und gestärkt wurden. In der Covid-19-Situation steigt nun die Chance auf gelebte Mit­bestimmung auch in Unter­nehmen, die damit bis­lang noch keine Erfahrungen gemacht haben. Denn: Der Druck von außen und innen, das Unter­nehmen stabil durch die Krise zu führen und für „die Zeit danach“ zukunfts­fest aufzustellen, ist immens und wird von beiden Seiten geteilt.

„Klassische“ Rollen­verteilungen überwinden

Das „klassische“ Rollen­muster sieht so aus: Wenn eine Restruktu­rierung ansteht, bringen Unter­nehmens­führung, Betriebs­rat und Gewerk­schaft primär ihre spezi­fischen Positionen und ihr tradiertes Verhalten in die zu führenden Gespräche und Ver­hand­lungen ein. Die beiden Parteien lassen die Muskeln spielen, um die eigenen Ziele durch­zu­setzen, und sie sind dabei – im machia­vellistischen Sinn – auch nicht zimper­lich in der Wahl ihrer Mittel, inner­halb und außer­halb der Verhand­lungs­situation. Kommt in Gesprächen eine Einigung zustande, präsen­tieren beide Seiten das Ergebnis dann als jeweils „ihren“ Erfolg, oft in parallelen und strikt von­einander getrenn­ten Kommuni­kations­strängen. Inhalt­lich und argumen­tativ scheinen bei dieser Praxis die alten „Kampf­linien“ deutlich durch. Akzeptanz und Moti­vation für einen engagier­ten Auf­bruch und Neu­anfang bleiben dadurch häufig auf der Strecke.

Neues Prozess- und Beratungs­muster: Ver­hand­lungen „auf Augen­höhe“

In einer Zeit, in der in immer kürzeren Abständen zukunfts­weisende, zum Teil radi­kale Ent­schei­dungen getroffen werden müssen und der Über­lebens­druck steigt, sind die­jenigen Unter­nehmen gut beraten, in denen Geschäfts­leitung und Arbeit­nehmer­vertreter auf ein ver­trauens­volles und kon­strukti­ves Mit­einander setzen.

Statt sich in den Ver­hand­lungen zu „verkämpfen“ und Kräfte zu ver­geuden, statt über interne und ex­terne Medien gegen­seitig Druck auf­zu­bauen und gegen­einander zu agitieren, sollten sich Unter­nehmens­führung und Arbeit­nehmer in der Krise vor allem über die Schnitt­mengen verständigen: Alle wollen im Kern das Gleiche – das Unter­nehmen sichern! Alle sitzen „in einem Boot“ und sollten sehen: Das in raue See geratene Schiff bleibt nur manövrier­fähig und kann nur wieder in ruhiges Fahr­wasser und auf einen sicheren und festen Kurs Rich­tung Zukunft ge­steuert werden, wenn man gemein­sam die dafür not­wendigen Anstrengungen unternimmt.

Das fängt schon bei der Ver­handlungs­strategie an: Statt eine dringend nötige, zukunfts­weisende Neu­auf­stellung ein­seitig „durch­zudrücken“ oder umgekehrt harte Ein­schnitte zu Lasten der Mitar­beiter:innen zu blockieren oder mindestens zu ver­schleppen, führt eine von vorn­herein kon­struktive gemein­same Suche und Umsetzung nach trag­fähigen, zukunfts­orientierten Lösun­gen viel­fach besser zum Ziel. Entscheidend dabei ist, von Anfang an die Per­spektive des jeweils anderen ein­zu­nehmen: Was brauchst du, damit du die Re­struktu­rierung vertreten, mit­tragen und als Erfolg erzählen kannst? Was brauche ich, damit ich das Unter­nehmen lang­fristig zukunfts­fähig mache? Aus diesem Ansatz heraus ist ein Verhandeln „auf Augen­höhe“ möglich, um von vorn­herein eine für beide Seiten ziel­führende Lösung zu ent­wickeln.

Kommunikative Per­spektiven von An­fang an ein­beziehen

Neben ökono­mischen und sozialen Aspekten sind auch kommuni­kative Per­spektiven schon in der Ver­handlungs­phase mit ein­zu­beziehen. Jede Seite antizipiert dabei idealer­weise Inhalte und Bot­schaften, die der anderen Seite in der Kommuni­kation mit ihren jeweils relevanten Stake­holdern poten­ziell wichtig sind. Ist es zum Beispiel für die Arbeit­nehmer­seite in der Kommuni­kation wichtig heraus­zu­stellen, dass ein umfäng­licher Stellen­abbau nicht nur die Mit­ar­beiter:innen betrifft, sondern auch Ein­schnitte auf Führungs­kräfte­ebene mit sich bringt, kann die Geschäfts­leitung diese Perspektive proaktiv auf­greifen. Die Vor­teile einer früh­zeitigen Einigung werden dann in der späteren kommuni­ka­tiven Dar­stellung beid­seitig nutz­bar: Indem das Unter­nehmen Ein­schnitte im Manage­ment vornimmt und in der Kommunikation akzentuiert, signalisiert es: „Wir haben verstanden – und stehen für eine faire Ver­teilung der Lasten.“ Die Arbeit­nehmer­vertreter können gegenüber den Mitarbeiter:innen deutlich machen: „Wir haben es in den Ver­hand­lungen geschafft, einen zentralen Punkt unserer Agenda durch­zusetzen.“ Beide Seiten stärken damit ihre Reputation und Glaub­würdig­keit.

Vorgehen und Inhalte der Kommuni­kation ab­stimmen

Wer in Verhandlungen „auf Augen­höhe“ zu gemein­samen Lösungen kommt, schafft die Voraus­setzung, die Früchte dafür in der Kommuni­kation zu ernten. Um dieses Potenzial voll aus­zu­schöpfen, ist es für Unter­nehmen und Arbeit­nehmer­vertreter ziel­führend, das kommunikative Vorgehen wie auch die Kommuni­kations­inhalte und -maßnahmen vertrauens­voll mit- und auf­einander abzu­stimmen – ohne die jeweilige kommuni­kative Souverä­nität aufzu­geben. Beide Seiten besetzen weiter­hin die von ihnen erwarteten Rollen und bedienen pass­genau ihre jeweils spezi­fischen kommuni­kativen Kanäle (Vorstands­brief, Intranet-News, Betriebsrats-Info usw.). Aber niemand be­an­sprucht die kommuni­kative Hoheit ein­seitig oder will am anderen vorbei First Mover sein. Das macht Leakage-Strategien über­flüssig.

In der Praxis bedeutet dies: Geschäfts­leitung sowie Betriebs­rat und Gewerk­schaft stimmen die Dramaturgie und den Kommuni­kations­fahr­plan für den Launch Day ab: Wer adressiert wann mit welchem Medium und über welchen Kanal seine Stake­holder? Welche Inhalte werden darin gesetzt? Über das Align­ment von Drama­turgie und Inhalten hinaus setzen gemein­same Veröffent­lichungen oder gemein­same physische oder virtuelle Auf­tritte von Manage­ment, Betriebs­rat und Gewerk­schaft besonders wirkungs­volle Zeichen, etwa bei Mit­arbeiter:innen- oder Presse­ver­anstaltungen oder in gemein­samen Bewegt­bild­formaten wie Inter­views oder Dialog­runden. Falls Mit­arbeiter:innen, bedingt durch Corona oder Kurz­arbeit, gerade nicht im Betrieb sind und keinen Zugriff auf die unter­nehmens­internen digitalen Angebote (Intranet, Social Intranet) haben, können solche Formate zeit­weilig sogar über öffent­liche Kanäle wie YouTube für sie zugäng­lich gemacht werden. Das erschließt zusätz­lich wichtige Reich­weiten inner­halb des eigenen Unter­nehmens – und darüber hinaus: Journa­list:innen nutzen solche Angebote zum Bei­spiel gern als Quelle für O-Töne.

Unternehmen und Arbeit­nehmer­vertreter im Vorteil

Eine abgestimmte Kommuni­kation während und vor allem auch nach der Verhandlungs­phase unter­streicht symbol­haft die konsensuale Lösungs­findung und hat hand­feste Vorteile mit Blick auf die Ziel­wahrnehmung bei den jeweils rele­vanten Stake­holdern – eine Win-Win-Situation für Unternehmen und Arbeit­nehmer­vertreter.

Das Unternehmen stärkt über alle Mit­arbeiter:innen- und Führungs­kräfte-Ebenen hinweg das „Wir-Gefühl“ im Unternehmen und motiviert über­greifend Zu­stimmung, Engagement und Gefolg­schaft für die Um­setzung der Maß­nahmen. Sowohl nach innen als auch nach außen – gegen­über Medien, (Standort-)Öffentlich­keit und lokaler bzw. regionaler Politik – wird die Reputation des Unternehmens als verant­wortungs­voll handelnder Arbeit­geber gestärkt. Das Vertrauen in die Handlungs­kraft des Manage­ments und damit in die Zukunfts­fähig­keit des Unter­nehmens steigt bei den Anteils­eignern ebenso wie bei Kunden und Lieferanten. Die Folge: Die Geschäfts­beziehungen werden nach­haltig gefestigt.

Die Arbeit­nehmer­vertreter nutzen die Chance, ihre zentrale, einfluss­reiche Rolle zu unter­streichen und sicht­bar zu machen – als Interessen­vertreter der Mit­ar­beiter:innen, als Mit­gestalter der Zukunft des Unter­nehmens und damit als Weg­bereiter für gute, sichere Arbeit.

Foto: iStock.com/mbbirdy

Kontakt