Winning Green

Weltweit stehen Unternehmen vor erheb­lichen Anpassungen und Re­struktu­rierungen ihres Geschäfts­modells, um den wachsenden Klima-Heraus­forderungen gerecht zu werden. Hierbei sind die Kapital­märkte neben Politik und Gesell­schaft wichtige Takt­geber.

Wie groß der Druck aus diesem Bereich geworden ist, zeigt ein Beispiel aus dem Januar 2022: Knapp 70 große Kapital­anleger, Versicherungen und Pensions­fonds, die sich unter der „Net-Zero Insurance Alliance“ zusammen­geschlossen haben (zu dem Bündnis gehören unter anderem die Allianz, die Münchener Rück, Zurich und Swiss Re; zusammen verwalten diese Unter­nehmen 10,4 Billionen USD), wollen Unter­nehmen und Regierungen künftig an ihrem konkreten Engage­ment für den Klima­schutz messen und fordern eine bis zu 65-prozentige Senkung der CO2-Emissionen bis 2030. Eine Simulation der Bundes­bank (Bundes­bank Monats­bericht, 24.01.2022) unterstreicht, wie stark ins­besondere börsen­notierte Unter­nehmen von der Heraus­forderung des Klima­schutzes betroffen sind. Untersucht wurden 5.300 Unter­nehmen aus 75 Ländern. Hiervon werden zwar 81 % der Unter­nehmen von emissions­bedingten Börsen­wert­verlusten von mehr als 4 % verschont bleiben. Aber: Bei 7 % der Unter­nehmen – immerhin 350 Unternehmen in Summe – ist mit Verlusten von mehr als der Hälfte des Unternehmens­werts zu rechnen.

Diese umwelt­politischen Heraus­forderungen addieren sich zu einem völlig veränderten Roh­stoff­zyklus, der derzeit vor allem die energie­intensive Grund­stoff­industrie nachhaltig zu be­einträch­tigen droht. Die Erdgas­preise haben sich in Jahres­frist verfünf­facht, der Öl­preis hat sich verdoppelt und der europäische CO2-Preis vervier­facht. Die euro­päische Politik kommt mit ihrem Versprechen, einen Anstieg der (politisch induzierten) Energie­preise durch Erstattungen aus­zu­gleichen, bei Industrie und Privat­ver­brauchern nicht mehr hinter­her.

Ursächlich für die Preis­entwicklung auf den Energie­märkten sind geo­politische Krisen, das stockende Wieder­anfahren der Welt­wirtschaft nach Corona, erhöhte europäische Klima­schutz­vorgaben sowie der beschleunigte Aus­stieg aus Kern­energie und Kohle. Seit 2014 sind die Investi­tionen in die Er­schließung neuer Öl­vor­kommen global um 50 % gesunken. Dies ist politisch gewollt, um die Pariser Klima­ziele ein­zu­halten. Für das Erreichen der Klima­neutralität bis 2045 muss allein in Deutschland die jähr­liche Schlag­zahl im Klima­schutz verdrei­facht werden.

Die Rolle der Gerichte

Der steigende Druck aus Politik und Gesell­schaft erreicht nun auch die Gerichte. Das Urteil des Bezirks­gerichts Den Haag aus dem Mai 2021 zeigt, was kommen kann: Das nieder­ländische Gericht verordnete dem Öl­konzern Royal Dutch Shell eine Minderungs­vorgabe seiner globalen Emissionen um netto 45 % bis 2030. Hierbei hätte der Konzern, der Berufung ankün­digte, nicht nur seine eigenen Emissionen zu mindern, sondern auch die mit der Nutzung seiner Produkte durch die Kunden ent­stehenden Emissionen zu berück­sichtigen.

Die Implikationen für Unternehmen

Für die Unter­nehmen stellt dies eine gravierende Veränderung dar. Bislang richten sich die meisten Firmen an den eigenen Emissionen (Scope 1 und 2) aus. Eine umfassende Pflicht zur Berück­sichtigung auch der Emissionen auf Kundenseite (Scope 3) hätte weit­reichende Konsequenzen für ein unter­nehmerisches Umwelt­management-System. Eine weitere Konsequenz wird sein, zunehmend juristisch allein die Unter­nehmen für den Treib­haus­effekt verant­wortlich zu machen. Dies ent­spricht nicht dem Ideal souveräner Konsumenten, ist aber vor allem mit Blick auf gegebenen­falls drohende Schadens­ersatz­klagen im wachsenden Bereich der Klima­verfahren vor Gericht („Climate Litigation“) eine zusätz­liche Bedrohung.

Wie sehr Gerichte und Politik Unternehmen unter Druck setzen, zeigt auch die Ent­scheidung des Bundes­verfassungs­gerichts zur Verschärfung des Klima­schutz­gesetzes aus dem März 2021. Umfang­reiche weitere Vorgaben legte die EU im Juli 2021 vor („Fit for 55“-Paket). Erkennbar nimmt die Politik dabei neben einer Steuerung über den Preis – wie im Emissions­handel – auch eine Regulierung bestimmter Sektoren mit einer zu­nehmen­den Eingriffs­tiefe in Angriff.

Am 31.12.2021 wurde nun ein Delegierter Akt zur Erweiterung der „grünen Taxonomie“ bekannt. Mit dieser Taxonomie will die EU einen Rahmen schaffen, damit private Investoren sich an der Umsetzung der Klima­neutra­lität betei­ligen können. Nach Schätzungen der OECD sind zur Ein­haltung der Pariser Klima­ziele welt­weite Investi­tionen von 630 Mrd. USD pro Jahr notwendig (OECD 2017: Investing in Climate, Investing in Growth, OECD Publishing, Paris) – Summen, die sicher­lich nicht allein aus staat­lichen Kassen fließen können. Die Taxonomie soll privaten Investoren eine Guidance für ihre Anlagen geben und es ihnen erleich­tern, „grüne“ Investments von „braunen“, also klima­schädlichen, zu unter­scheiden.

Gesellschaftliche Konfliktlinien

Die Intention der Taxonomie ist eine positive. Dennoch hat die nun publik gewordene Ergänzung zu den Themen Erdgas und Kern­energie noch einmal das gesell­schaftliche Konflikt­potenzial in der Energie­wende unter­strichen. 30 % der deutschen Bevölkerung sprechen sich in einer Meinungsumfrage von IPSOS für eine strikte Zurückweisung der gesamten Taxonomie-Vorschläge aus, 25 % sind zumindest bei Erdgas auf der Unter­stützer­seite. Während in den meisten Ländern die Kern­energie gerade wegen ihrer Kosten keine Chance mehr hat, zeigt die Diskussion bei Erdgas, wie schwierig es werden wird, umwelt- und energie­politische Wünsche mit der Versorgungs­sicherheit bei einem beschleu­nigten Kohle­ausstieg in Über­ein­stimmung zu bringen. Es wird Jahre dauern, bis die erneuer­baren Energien und Speicher­lösungen konventionelle Energien komplett in der Strom­erzeugung ersetzen können. Die ebenso erforder­liche Infra­struktur für Wasser­stoff, um die Industrie zu de­karboni­sieren und solche Speicher zu schaffen, steckt noch in den Kinder­schuhen.

Was ist zu tun?

Die Unternehmen sind bei Umwelt- und Klima­schutz in viel­facher Weise betroffen: Sie müssen die eigenen Kunden von ihrer nach­haltigen Wett­bewerbs­fähigkeit überzeugen, als Arbeit­geber auf einem umkämpften Markt für Talente attraktiv bleiben und zugleich konflikt­trächtige gesell­schaft­liche Wünsche und wirt­schaft­liche Hand­lungs­möglich­keiten unter einen Hut bringen. Die Komplexität nimmt angesichts veränderter Kommuni­kation erheb­lich zu. Jedes Unter­nehmen, das einmal wegen vermeint­licher Umwelt­vergehen am öffent­lichen Pranger stand, kennt das Skanda­lisierungs­potenzial sozialer Medien.  

In der Konsequenz brauchen Unter­nehmen neben einer gegebenen­falls notwendig werdenden Umstruk­turierung hin zu klima­freund­licheren Prozessen auch eine klare Strategie, wie sie mit den Erwar­tungen der Stake­holder im Markt, von Mit­arbeitenden, Gesell­schaft und Politik umgehen und ihre eigenen Beiträge glaub­haft machen können. Es bedarf eines transpa­renten und jähr­lich überprüf­baren Maßnahmen­plans, der weit über bis­herige Absichts­erklä­rungen hinaus­geht, die Unter­nehmen aus ihrer Umwelt­bericht­erstattung gewöhnt waren. Hierfür ist der Druck der Kapital­märkte, von Politik und Gesell­schaft, zunehmend aber auch der Gerichte viel zu groß geworden. Um das Ziel „Winning Green“ in die Tat umzu­setzen, bedarf es einer die verschie­denen Disziplinen und Stakeholder-Interessen ver­einenden, kongruenten Kommunikation für die lang­fristige Absicherung des unter­neh­merischen Erfolgs. Das Beispiel Taxonomie zeigt dabei deutlich, mit welchen Schwierig­keiten Unternehmen heute konfrontiert sind, wenn es um das Thema ESG und Klima­schutz geht. Denn eigentlich sollte die Taxonomie die Debatte um das, was grün ist, beenden. Jetzt droht sie, alte Wunden wieder aufzureißen.

Der Beitrag von Volker Heck erschien im März 2022 im Online-Magazin RestructuringBusiness, die Veröffent­lichung auf unserer Website erfolgt mit freund­licher Genehmigung des Verlags. Download des Original-Beitrags.

Foto: iStock.com/35007

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