Anmerkungen zur Bedeutung der Internen Kommunikation in turbulenten Transformationsprozessen
Von Egbert Deekeling
Selten wurden Konzerne und ihre Kommunikation so gefordert wie in dieser Zeit. Da ist die Jahrhundertaufgabe, bewährte und erfolgreiche Geschäftsmodelle grundlegend auf Klimaneutralität und Nachhaltigkeit auszurichten. Gleichzeitig erschüttern der Angriffskrieg Russlands, aber auch Chinas zunehmend aggressive und auf Abschottung setzende Politik die Grundfesten der Globalisierung. Ob Neukonfiguration von Liefer- und Wertschöpfungsketten oder Kampf gegen Energiekrise, Inflation und Rezession: Neben Wachstum wird die Stärkung von Resilienz zu einem entscheidenden Ziel der unternehmerischen Ambition. Da gerät mit der digitalen Transformation der große Megatrend des vergangenen Jahrzehnts fast in Vergessenheit. Aber auch die nächste Welle der Digitalisierung erfordert von Unternehmen vor allem mit Blick auf KI, Robotics und Cyber Security neue Antworten.
Damit verbunden ist ein großer und in diesem Maße kaum gekannter Handlungsdruck. Bei allem taktischen „Auf-Sicht-Fahren“ müssen Unternehmen ihre Strategie grundlegend neu bestimmen und langfristig anlegen – Zehn-Jahres-Zeiträume werden für die Strategieumsetzung immer mehr zum zeitlichen Standard. Gleichzeitig erweisen sich Transformationsprozesse als hochkomplex. Das Management von Zielkonflikten – allen voran zwischen Investition und Innovation einerseits sowie Restrukturierung und Kosteneffizienz andererseits – entscheidet zunehmend über den Erfolg von Strategie und Transformation.
Parallel arbeiten Unternehmen intensiv an der Weiterentwicklung ihrer Identität und Kultur. Der War for Talents katapultiert das Employer Branding aus dem Status eines „Nice-to-have“ zu einem erfolgskritischen strategischen Thema ersten Ranges. Veränderungen in der Lebens- und Arbeitskultur und damit verbundene Erwartungen der jungen Generation sowie der Durchbruch der Remote-Arbeit im Zuge der Corona-Krise verlangen nach neuen Formen von Zusammenarbeit und Führung. Bonding ist zu einem harten unternehmerischen Ziel für die Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit geworden.
Das ist ein beeindruckender Katalog an unterschiedlichsten Herausforderungen, der sich auch auf die Rolle und die Bedeutung der Internen Kommunikation in Konzernen auswirkt. Mit den neuen hochkomplexen Anforderungen an Strategie-Alignment und Gestaltung der Transformation wachsen auch die Erwartungen des Top-Managements an Kompetenzen, Einflussnahme und Gestaltungskraft von Expert:innen für die Interne Kommunikation. CEO, COO, Executives und Management brauchen den klugen Rat und die Durchsetzungsmöglichkeiten einer gut aufgestellten Internen Kommunikation, die auf Augenhöhe mit ihnen agiert – und auch so wahrgenommen wird.
Newsroom und Channel-Management: State-of-the-Art, aber nicht ausreichend
Heute haben sich global agierende Konzerne und Unternehmen angesichts zunehmender Anforderungen einer dynamischen und komplexen Medienwelt zu publizistischen Akteuren entwickelt. Globales Reputationsmanagement ist ein notwendiger und integraler Teil des Risikomanagements geworden. Newsroom-Modell und journalistische Praxis bestimmen die Organisation und das Rollenverständnis der gesamten Unternehmenskommunikation. Dabei gilt das Credo: Externe Kommunikation ist gleich interne Kommunikation. Digitales Content- und Channel-Management sowie Storytelling gehören zu den Kernkompetenzen der Kommunikation nach außen und innen.
Das kann leicht zu einer Unterschätzung der Wirkungsmöglichkeiten der Internen Kommunikation bei großen Transformationsherausforderungen führen. Das Prinzip „extern gleich intern“ hat seine Notwendigkeit und Berechtigung für publizistische Aktivitäten, bei denen der nachrichtliche Auftrag im Mittelpunkt steht. Für die Gestaltung der Transformation greift dieses Prinzip jedoch zu kurz. Es lässt genau die Aufgaben und Kompetenzen ungenutzt, die für eine wirkungsvolle Kommunikation der Veränderungen erforderlich sind.
In den 2000er Jahren war das anders. Globalisierung, Stakeholder-Value-Orientierung und die erste Welle der Digitalisierung prägten die Change-Agenda aller Konzerne. Die Interne Kommunikation war bis dahin weitgehend mit der Mitarbeiterzeitung gleichzusetzen. Mit den neuen Change-Herausforderungen entwickelte sie einen differenzierten Ansatz für Führungskräftekommunikation und Mitarbeiter:innen-Mobilisierung. Gleichzeitig erarbeitete sie sich neue Formate und umfassende Kompetenzen: Events, Kampagnen, Führungs-Dialoge und Workshops gehörten von nun an zu ihrem breiten Instrumentarium. So konnte sie ihren relevanten Beitrag zu Strategie-Alignment und Gestaltung der Transformation leisten. Mit Blick auf Verständnis und Akzeptanz war sie als Taktgeberin der Veränderung gefragt und gehörte zum „Inner Circle“ des Transformationsmanagements.
Der Unterschied zu heute ist augenfällig. Die Praxis der Internen Kommunikation ist – wie gezeigt – in ihrem Selbstverständnis wieder stark journalistisch geprägt. Change Management und Führungskräftebefähigung sind in der Regel die Aufgabe von HR. Die entscheidenden Kompetenzen für die Gestaltung der Transformation sind in dieser Aufgabenverteilung aber verloren gegangen: Strategie-Alignment und die didaktisch-kommunikative Aufbereitung der Transformationsinhalte. Die HR verfügt dafür zwar über das methodische Rüstzeug – ihr fehlt aber in der Regel die inhaltlich-strategische Durchdringung. Hier klafft eine fatale Lücke.
Aus dieser Perspektive wirkt das gegenwärtige Selbstverständnis der Internen Kommunikation trotz aller Modernität als Selbstbeschränkung, ja fast schon als Rückschritt. Die Gretchenfrage der Internen Kommunikation lautet daher: Will sie sich angesichts turbulenter Zeiten in der Nische einrichten oder will sie die Lücke ausfüllen? Die Möglichkeiten dazu hat sie.
Zurück an den Tisch: Erweitertes Setup für Aufgaben in der Transformation
Für die Gestaltung der gewaltigen Transformationsaufgaben muss die Interne Kommunikation ihr Rollenverständnis und Setup über die Aufgaben als Content- und Channel-Provider hinaus erweitern. Vier Faktoren sind dafür ausschlaggebend.
1. Deutungshoheit durch Sounding
Eine schlagkräftige und wirkungsvolle Interne Kommunikation braucht ein tiefes Verständnis der Wahrnehmungslagen im Unternehmen. Dazu gehören vor allem Kenntnisse über den Grad der Strategiedurchdringung, der Identifikation der Organisation mit den Transformationsaufgaben sowie über die damit verbundene Führungswahrnehmung. Das verschafft der Internen Kommunikation eine Deutungshoheit, die sie beratungsfähig gegenüber dem Management macht. Sounding-Ergebnisse bilden deswegen die notwendige Grundlage für die Ableitung von strategischem Ansatz, Inhalten und Maßnahmen der Kommunikation. Dazu müssen vor allem qualitative Methoden wie explorative Einzelinterviews im Vordergrund stehen. Sie liefern – im Kontrast zu den meist hoch aggregierten HR Surveys – authentische O-Töne aus dem Führungs- und Geschäftsalltag des Unternehmens.
2. Lead in der Führungskräfte-Kommunikation
Das Alignment von Führungskräften ist Voraussetzung für Akzeptanz, Verständnis und Durchsetzungskraft der Transformation. Das erfordert Einbindung, die eine Aufgabe der Internen Kommunikation sein muss. Als „Wächterin“ des strategischen Contents und des Transformationsnarrativs braucht sie dafür die Hoheit in den entsprechenden Formaten, um Sprechfähigkeit und einheitliches Messaging über alle Führungsebenen sicherzustellen. Sie muss die Aufbereitung aller Inhalte für die Vermittlung im Rahmen der Management- und Führungskräfte-Kommunikation übernehmen. Die Erstellung entsprechender Formate und Unterlagen kann und darf sie nicht allein der Konzernentwicklung, den Vorstandsbüros oder HR überlassen. Letztere sind für die Führungskräfte-Entwicklung zuständig – aber nicht für die Führungskräfte-Kommunikation. Zu den Aufgaben und Kompetenzen der Internen Kommunikation müssen daher unter anderem gehören: die Synchronisation des Botschaften-Settings im Top-Management, die Aufbereitung von Vorstands- und AR-Präsentationen, die Erstellung von Präsentationen und Reden für Executive Meetings und Veranstaltungen, die inhaltliche Ausgestaltung von Events sowie die Entwicklung von Kommunikations-Kits für Führungskräfte.
3. Steuerungshoheit durch Kampagnen
Das Denken in Kampagnen ist eine ureigene Kompetenz der Kommunikation. Diese gewinnt in turbulenten Zeiten eine erfolgskritische Relevanz. Gerade längerfristige und komplexe Strategie- und Transformationsprozesse brauchen zwingend eine kommunikative Phasierung und Bündelung mit einem entsprechenden Themen- und Agenda-Setting. Die Orchestrierung von Maßnahmen und Themen greift die Beiträge anderer Bereiche und Workstreams auf, ohne aber in deren institutionelle Hoheit einzugreifen. Damit übernimmt die Interne Kommunikation die Kampagnenführung; sie verschafft sich die notwendige Steuerungshoheit, aber auch die Grundlagen für eine enge Vernetzung mit anderen Managementfunktionen. Das Management des Newsflows ist dabei aber nur ein Bereich der Kampagne – hinzukommen müssen auch Dialog- und Instruktionsformate, Events und Mobilisierungsinitiativen, Kaskadierungs- und Bottom-up-Prozesse.
4. Gestaltungskraft durch organisatorische Verankerung
Erweitertes Setup und Bedeutungszuwachs der Internen Kommunikation sollten sich auch in der Teamaufstellung widerspiegeln. Newsroom, Sounding, Führungskräfte-Kommunikation, Kampagnen – das ist der Vierklang, der Team-Agenden und Aufgabenprofile prägen muss. Das schafft den notwendigen Handlungsrahmen für den Aufbau und die Entwicklung entsprechender Ressourcen sowie für die Allokation von Budgets. Gleichzeitig ist damit auch eine hohe Symbolwirkung verbunden. Mit diesem Agenda-Setting signalisiert die Interne Kommunikation ihren Gestaltungsanspruch – gegenüber dem Management, aber auch im Zusammenspiel mit anderen Querschnittsfunktionen.
In turbulenten Transformationsphasen braucht es die volle Gestaltungskraft einer breit aufgestellten Internen Kommunikation. Ein auf Newsroom-Praxis basiertes journalistisches Rollenverständnis ist dabei unverzichtbar. Allerdings beschränkt eine Fokussierung darauf die vielfältigen Wirkungsmöglichkeiten gerade dann, wenn sie für den Erfolg von unternehmerischer Transformation notwendig sind.
Der Beitrag erschien im März 2023 im Magazin "kommunikationsmanager".