TQ Restrukturierung

Nur dank massiver Staats­hilfen konnten viele Unternehmen während der Corona-Pandemie überleben. Doch anhaltend hohe Kosten­belastungen, Fachkräfte­mangel und die Rezession gefährden die Über­lebens­fähigkeit ganzer Branchen.

Sie betonen in Ihrem Jahres­rück­blick 2023, das Jahr sei „reich an unvorhersehbaren Entwicklungen, Wendungen und Wirrungen“ gewesen. Was haben wir von 2024 und darüber hinaus zu erwarten?

Deutschland befindet sich seit 2020 im Krisen­modus. Mittler­weile kann ich es selbst kaum noch hören. Nichts­desto­trotz ist der Befund korrekt. Gegenüber 2023 wird das laufende Jahr in dieser Hin­sicht noch mal zulegen. Die Kosten für die über­bordende Rettungs­politik der vergangenen Jahre kommen jetzt in vollem Umfang bei Unter­nehmen und Verbrauchern an. Ohne die massiven Sub­ventionen steht die deutsche Wirt­schaft in einem verschärften Wett­bewerbs­umfeld mit einer anhaltenden Inflation, hohen Zinsen, enormen Energie­kosten und einem sich verschärfenden Fachkräfte- und Personal­mangel. Das kann man gerade in der Bau­wirtschaft, aber auch im Handel in Zeit­lupe beob­achten. Die Verbraucher sind mit ihren Ausgaben so vorsichtig wie seit 2009 nicht mehr. Hinzu kommt eine ganze Reihe von politischen Wahlen im In- und Ausland, die zusätzlich für enorme Verwerfungen sorgen können.

Hohe Kosten­belastungen und die Rezession haben das Insolvenz­geschehen in Deutsch­land forciert. Rollt jetzt bei den Insolvenzen die „Normali­sierungs­welle“ – und woran liegt das?

Bereits 2022 haben wir eine Trend­wende vom vormals paradoxen Insolvenz­geschehen (größte Krise seit dem Zweiten Welt­krieg / niedrigste Insolvenz­zahlen seit Einführung der Insolvenz­ordnung 1999) zu einer Normalisierung der Insolvenz­zahlen gesehen, die bis heute anhält. Die Hilfs­politik der Regierung, angefangen bei der Aus­setzung der Insolvenz­antrags­pflicht über das Kurz­arbeiter­geld bis hin zu Liquiditäts­hilfen, hat dafür gesorgt, dass viele Unter­nehmen durch diese Zeit gekommen sind, die unter normalen Umständen in die Pleite hätten gehen müssen. In dem jetzigen schwierigen Umfeld sind viele nicht überlebens­fähig.

Welche Früh­indikatoren sehen Sie, dass immer mehr Unter­nehmen im Krisen­modus sind?

Zum einen können wir jeder­zeit einen Blick auf die Zahlungs­moral der Unter­nehmen werfen. Hier zeichnen sich früh­zeitig Entwick­lungen ab, die erst später in der Insolvenz­statistik sichtbar werden. Neben tradi­tionellen Indikatoren sind wir seit der Corona-Pandemie erfinderisch geworden. Mit der Zahl der LKW auf deutschen Auto­bahnen, der Kunden­frequenz in deutschen Fußgänger­zonen an einem Samstag­morgen oder den Umsatz­zahlen in Indikator­branchen können wir früh­zeitig Verwerfungen erkennen. Aktuell sehen wir beispiels­weise in der Bau­branche, dass eine Vielzahl von Projekten eingefroren werden, Projekt­entwickler vom Markt verschwinden und sich die Auftrags­bücher im Hoch- und Tief­bau zunehmend leeren.

Automotive-Industrie, die Gesundheits­wirtschaft oder auch die Chemie­branche – einige von zahlreichen Wirtschafts­zweigen, die auch unab­hängig von der aktuell schwierigen Kon­junktur große Transformations­heraus­forderungen durch­laufen. Sind diese Unter­nehmen jetzt besonders gefährdet?

Leider können wir beobachten, dass zahl­reiche Unter­nehmen und ganze Branchen über Jahre hinweg von der Substanz gelebt haben. Es wurde oftmals zu wenig in die Weiter­entwicklung des eigenen Geschäfts­modells investiert, Stichwort stationärer Einzel­handel. Hier sehen wir beispiels­weise bei Galeria Karstadt Kaufhof, wie schwierig eine Neu­orientierung in dieser Zeit ist. In der Automotive-Branche kommen noch poli­tische Vorgaben hinzu und fast alle Wirtschafts­bereiche sind von der ebenfalls politisch gewollten grünen Trans­formation betroffen. Also ja, wer bereits in den letzten Jahren strukturelle Probleme hatte, für den ist die Lage heute sicher­lich nicht einfacher geworden.

Zahlen lügen nicht, Ihre Statistiken sind ein­deutig. Aber sehen Sie auch Grund zum Optimismus? Und wenn ja, wo?

Ohne Optimismus könnten wir unseren Job gar nicht machen. Mich beruhigt, dass der deutsche Mittel­stand, zu dem immer­hin rund 96 % aller Unter­nehmen in Deutsch­land zählen, in dieser Form ganz und gar einzig­artig ist. Seit Ludwig Erhard sind Unternehmens­lenker mehr als einmal die stürmische See gesteuert und haben mit Innovations­kraft und Ideen­reichtum die deutsche Wirt­schaft zu einer der stärksten in der ganzen Welt gemacht. Wenn man sie machen lässt und die richtigen Rahmen­bedingungen setzt, kann eigentlich nichts schiefgehen.

Internationale Medien und auch Politiker bemühen wieder das Narrativ von Deutsch­land als dem „kranken Mann Europas“. Was sollten Unter­nehmen – und auch die Politik – tun, um sich kommunikativ dagegen­zustemmen?

Mich stört vor allem das Schwarz-Weiß-Denken in der Politik und den Medien. Heute noch die Lokomotive der Europäischen Union, morgen der kranke Mann Europas. Ich glaube, eine ehrliche und schonungs­lose Analyse des Status quo ohne ideologische Scheu­klappen hilft, die richtigen Schlüsse zu ziehen und geeignete Gegen­maß­nahmen zu ergreifen. Dann können wir auch wieder Erfolgs­geschichten erzählen. Im Chinesischen besteht das Wort Krise aus zwei Schrift­zeichen. Eines bedeutet „Gefahr“, das andere „Gelegenheit“. Wenn wir 2025 zurück­blicken, würde ich im Zusammen­hang mit der deutschen Wirtschaft gerne eine „Phönix aus der Asche“-Geschichte vor Augen haben.


Patrik-Ludwig Hantzsch ist Leiter der Wirtschafts­forschung und Unternehmens­kommunikation sowie Presse­sprecher beim Verband der Vereine Credit­reform e.V., Neuss. Er vertritt Credit­reform gegenüber Öffent­lich­keit, Politik und Medien.

Foto: Patrik-Ludwig Hantzsch

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