In Restrukturierungsphasen ist Kommunikation eine strategische Führungsaufgabe. Sie sollte Vertrauen schaffen, Unsicherheit minimieren und alle Beteiligten motivieren. Das ist umso wichtiger, weil die aktuelle Krise komplexer ist als die bisherigen und es daher länger dauert, bis eine Strategie ausgearbeitet ist und implementiert wird.
Sie haben in namhaften Unternehmen umfassende Restrukturierungs- und Transformationsprogramme geleitet. Welche Rolle spielt für Sie dabei Kommunikation?
In Transformations- oder gar Restrukturierungsphasen ist Kommunikation eine strategische Führungsaufgabe. Erfolgreiche Kommunikation schildert das Problem, erklärt das Zielbild, zeigt den Weg dorthin nachvollziehbar und transparent. Sie schafft Vertrauen bei allen Stakeholdern, minimiert Unsicherheiten im Umfeld und motiviert die Beteiligten, den eingeschlagenen Weg trotz aller Schwierigkeiten weiterzugehen. Das gilt für interne und externe Kommunikation gleichermaßen.
Sie hatten mehrfach den „Doppelhut“ auf – als Finanzvorstand und als Arbeitsdirektor. Die Aufgabe dabei: Vertrauen bei Banken, Analysten, Anlegern und Investoren gewinnen und gleichzeitig Gewerkschaften, Betriebsräte und Beschäftigte von teilweise auch harten Einschnitten überzeugen. Worauf kommt es dabei an?
In der Restrukturierung werden von den verschiedenen Stakeholdern Einschnitte oder Opfer verlangt – im Vertrauen auf eine Besserung der Situation. Wichtig ist, dass die Einschnitte im Hinblick auf die Risikobeteiligung der jeweiligen Stakeholder balanciert sind und dies transparent kommuniziert wird. Den oben beschriebenen Doppelhut zu tragen, bedeutet in diesem Fall sicherzustellen, dass finanzielle Stabilität und Arbeitsplatzstabilität miteinander einhergehen und sich nicht ausschließen.
Die Prognosen für verschiedene Branchen am Standort Deutschland sind düster. Erfolgreiche Restrukturierungs- und Transformationskommunikation hat immer neue Perspektiven aufgezeigt. Wie glaubwürdig ist das in Zeiten, in denen Unternehmen immer mehr ums blanke Überleben kämpfen?
Erfolgreiche Transformationskommunikation war bislang neben der schonungslosen Bestandsaufnahme auch die Schilderung des Zielbildes und die Beschreibung des nachvollziehbaren Weges. Was haben wir geschafft und was fehlt noch, um am Ziel anzukommen? Das schafft Vertrauen und erhöht die Motivation.
Die aktuellen Krisen sind so tiefgreifend und kommen so schnell über die Unternehmen, dass man zunächst einmal Anpassungsmaßnahmen ergreifen muss, bevor ein Zielbild erarbeitet und entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden können. Man braucht mehr Zeit, um überhaupt eine erfolgreiche Strategie zu finden und zu implementieren. Die Folge ist, dass um Vertrauen und Motivation viel stärker geworben werden muss, um die Krise zu bestehen. Gerade intern kann das nicht allein mit Zahlen, Daten und Fakten geschehen. Die Menschen mit ihren Erwartungen und Bedürfnissen müssen erreicht werden.
Die Zeitungen sind täglich voll mit Meldungen über gravierende Personalabbauprogramme. Wie verträgt sich das mit dem Fachkräftemangel?
Das ist ein sehr vielschichtiges Thema. Personalkosten sind ein erheblicher Kostenblock für Unternehmen und insofern ein zentraler Ansatzpunkt in jedem Transformationsprogramm. Auch sind zunehmend andere Skills gefragt, als in vielen Unternehmen vorhanden sind, etwa in der Digitalisierung. Andererseits trennen sich viele Unternehmen altersbedingt gerade von Mitarbeitenden, die noch selbst Krisen erlebt haben. Gerade das könnte in der heutigen Zeit aber eine ganz zentrale Kompetenz sein, die dringend benötigt wird – Diversity heißt neben anderem auch die richtige Mischung aus Alt und Jung, erfahren und frischer Perspektive. Ich glaube darüber hinaus aber auch, dass sich der Arbeitsmarkt noch einmal gravierend verändert, wenn die Krisen so tiefgreifend sind, wie sie sich gerade abzeichnen. Ich befürchte, wir stehen am Anfang einer langanhaltenden wirtschaftlichen Krise.
Führungskräfte fühlen sich häufig im „Schraubstock“: Sie sind teilweise Betroffene in Restrukturierungsprozessen, sollen aber auch Treiber von Veränderung sein. Manche lassen dann ihre Führungsverantwortung schleifen, andere – häufig die, die man halten will – verlassen das Unternehmen. Was tun gegen Lethargie oder Brain Drain?
Wir sprachen eben schon davon, wie gute Kommunikation Vertrauen schafft, Unsicherheit minimiert und die Beteiligten motiviert, den eingeschlagenen Weg trotz aller Schwierigkeiten weiterzugehen. Das gilt besonders für Führungskräfte, die sich oft genug in einer Sandwich-Position fühlen. Je besser die Erklärungen, desto größer die Chance, sowohl gegen Lethargie wie auch Brain Drain anzukommen. Neben einem intensiven Führungsdialog können aber auch zielgerichtete Incentives ein geeignetes Instrument sein.
Aus der Perspektive eines Top-Managers von global agierenden Konzernen: Wie blicken Sie aktuell auf den Standort Deutschland – und was können Unternehmen, Politik und die Sozialpartner tun, damit wir aus der von vielen gefühlten Abwärtsspirale rauskommen?
Ich halte die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit vieler Unternehmen, insbesondere von Schlüsselbranchen, am Standort Deutschland für hochgradig gefährdet, weil zu den strukturellen Herausforderungen noch „hausgemachte“ Probleme wie überbordende Bürokratie, mangelnde Flexibilität und Überregulierung kommen. Die an sich wünschenswerte ökologische Transformation der Wirtschaft wird unter diesen schwierigen Bedingungen länger dauern und sollte weniger ideologisch angegangen werden, weil sie ansonsten die vorhandenen Krisen noch beschleunigt.
Marcus A. Wassenberg war Finanzvorstand und Arbeitsdirektor bei namhaften Unternehmen, unter anderem der Rolls-Royce Power Systems AG und der Heidelberger Druckmaschinen AG. Aktuell ist er als Berater für Restrukturierungsprojekte in der Automotive-Industrie tätig.
Foto: Marcus A. Wassenberg