Transformation Quarterly 03_2023

Deutschland fürchtet um seinen Platz auf der internationalen Bühne. Die Inflation, die multiplen Krisen­situationen und nicht zuletzt der US-amerikanische Vorstoß mit dem IRA lässt es um seine inter­nationale Wettbewerbs­fähigkeit bangen.

Lieber Herr Vassiliades, Sie fordern in einer Allianz mit anderen Gewerk­schaften und großen Industrie­verbänden die Einführung eines Industrie­strompreises. Warum ist gerade das der Hebel, um den Wirtschafts­standort wieder­zubeleben?

Die energie­intensiven Branchen stehen am Beginn aller industriellen Wertschöpfungs­ketten. Sie sind Garanten eines industriellen Netz­werks, das weltweit seines­gleichen sucht und bislang sehr erfolg­reich unseren Wohl­stand gemehrt hat. Das ist in Gefahr. Die Energie­intensiven drohen uns abhanden zu kommen. Die Folge: wachsende Abhängig­keiten von globaler Zulieferung. Schon jetzt bestimmen Produktions­kürzungen, Spar­programme und Personal­abbau das Bild. Diese Branchen sind der Grund dafür, dass Deutsch­land als einziger Industrie­staat in der Welt derzeit schrumpft. Zu toxisch ist das Gebräu, das sich für sie gebildet hat: verzögerte Energie­wende, überhöhte Energie­preise, über­bordende Regulierung, marode Infra­struktur. Sie jetzt zu unter­stützen, ist nichts anderes als eine Investition in die Zukunft des Landes – schlicht gut angelegtes Geld. Vordring­lichstes Projekt muss ein Preis­deckel für den Strom sein, den größten Kosten­block der Energie­intensiven. Industrie­strom kostet in den USA oder in Frank­reich inzwischen nur noch einen Bruch­teil dessen, was hierzu­lande zu zahlen ist. Wir müssen inter­national schnell zurück auf Augen­höhe, um wieder durch­starten zu können.

Steht die Einführung eines Industrie- oder Brücken­strompreises aus Ihrer Sicht nicht im Wider­spruch zum Ziel der Klima­neutralität?

Im Gegenteil. Wir brauchen Branchen wie Chemie, Metalle, Papier, Glas oder Kunst­stoffe zwingend für die Trans­formation unserer Industrie­gesellschaft, für die klima­neutralen Produkte der Zukunft, für eine funktio­nierende Kreis­lauf­wirtschaft. Sie selbst haben sich längst auf den Weg gemacht und wollen die Trans­formation der heimischen Standorte angehen. Diese Moderni­sierung wäre nicht nur eine Chance für weitere Fort­schritte beim Klima­schutz in Deutsch­land, sondern auch für eine nach­haltige Sicherung von Stand­orten, Arbeits­plätzen, Wachs­tum und Wohl­stand. Doch dafür brauchen sie inter­nationale wettbewerbs­fähige Rahmen­bedingungen.

Welche Erwartungen haben Sie an die Unter­nehmen überdies hinaus, um die Wett­bewerbs­fähigkeit der größten Industrie­nation Europas zu stärken?

Es braucht ein klares Commit­ment zum Standort Deutsch­land und Europa, den Willen, die Innovations­kraft und das Geld, die Trans­formation des wichtigsten Wohlstands­motors dieses Kontinents zu einer Erfolgs­geschichte zu machen. Für uns steht deshalb mit Blick auf einen Brücken­strompreis auch außer Frage, dass diese Subvention an konkrete Trans­formations­projekte, Standort- und Arbeitsplatz­garantien sowie an Tarif­bindung gekoppelt sein muss.

 

Michael Vassiliadis ist Vorsitzender der Industrie­gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) und Präsident des europäischen Verbunds der Industrie­gewerkschaften IndustriAll Europe. Er ist Vorstands­vorsitzender des Innovations­forums Energiewende und seit 2020 Mitglied im Nationalen Wasserstoff­rat.

Michael Vassiliadis ist zudem stell­vertretender Aufsichtsrats­vorsitzender der RAG AG (Herne) sowie Mitglied des Aufsichts­rats der BASF SE (Ludwigshafen), der Henkel AG&Co. KGaA (Düsseldorf) und der Steag GmbH (Essen). Zudem ist er stell­vertretender Vorsitzender des Kuratoriums der RAG-Stiftung.

Foto: IGBCE

 

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