TQ Restrukturierung

Die erfolgs­verwöhnte deutsche Wirtschaft ist immer wieder von Krisen erschüttert worden – und hat sich dann rasch erholt. Was ist jetzt anders, wie nehmen Sie die Stimmung bei Unternehmens­lenkern wahr?

In den vergangenen Jahren wurden wir mit einer ganzen Reihe von Heraus­forderungen konfrontiert, angefangen bei den Aus­wirkungen der Corona-Pandemie über die Energie­krise bis hin zu geo­politischen Spannungen. Aktuell befinden wir uns noch in einer Phase, die von den Nach­wehen dieser Krisen geprägt ist – zu denen neue Konflikte und Probleme im In- und Aus­land hinzu­kommen. Neben diesen aktuellen Heraus­forderungen müssen wir auch weiter­hin bestehende Aufgaben meistern, darunter die Digitali­sierung, den anhaltenden Fach­kräfte­mangel, die Inflation und die Umstellung auf E-Mobilität. Diese Themen sind bereits auf der Agenda und das Streben nach Klima­zielen verstärkt den Ergebnis­druck zusätzlich. Im Gesamt­kontext erweisen sich diese Heraus­forderungen als besonders komplexes Gefüge, dem sich Unter­nehmen in nahezu allen Bereichen der deutschen Wirtschaft stellen und nach Lösungen suchen müssen. Diese Vielzahl an Heraus­forderungen, die – nach Meinung nicht weniger – ad hoc bzw. mit großer Geschwindig­keit auftreten, über­fordern den einen oder anderen.  

Da wundert es auch nicht, dass sich die Unternehmens­lenker in dieser Lage zu­nehmend vor­sichtiger verhalten. Viele fahren ihr Unter­nehmen inzwischen wieder „auf Sicht“ und achten – richtiger­weise – auf die Liquidität. Die Unter­nehmen stehen vor der schwierigen Aufgabe, in einem Umfeld, das vermehrt von Unsicher­heiten und begrenzten Ressourcen geprägt ist, die richtigen Ent­scheidungen zu treffen. In diesem Zuge kann man vor allem in Bezug auf Investitionen in Ent­wicklung und Innova­tionen eine verstärkte Zurück­haltung wahr­nehmen. Dabei scheint es manch­mal äußerst fraglich, ob diese teilweise nur kurz­fristigen Reaktionen auf die aktuellen Ent­wicklungen auch auf lange Sicht dem Unter­nehmen die Stabilität und Wider­stands­fähigkeit geben, die die Unter­nehmen in einem sich wandelnden und volatilen Umfeld brauchen.

Was sind für Sie die Erfolgs­faktoren für einen nachhaltigen Turnaround oder eine erfolgreiche Neuausrichtung?

Für einen nach­haltigen Turn­around oder eine erfolg­reiche Neuaus­richtung kommt es auf die inter­disziplinär angewendete rechtliche und betriebs­wirtschaftliche Kompetenz an. Am Anfang steht immer eine eingehende Analyse, in der geprüft wird, welche Veränderungen erforder­lich sind, um eine wett­bewerbs­fähige Position zu erhalten oder wieder­zu­gewinnen.

In diesem Zusammen­hang spielt eine umfassende und transparente Kommuni­kation mit allen Stake­holdern eine zentrale Rolle, um sie früh­zeitig einzubinden und verschiedene Handlungs­optionen im Bereich Restrukturierung, Sanierung oder Insolvenz abzuwägen. Erst die richtige Kommunikation baut ent­sprechendes Vertrauen auf, fördert die Akzeptanz von (notwendigen) Maßnahmen und trägt schließ­lich auch zu ihrem Gelingen bei.

In rechtlicher Hinsicht ist es ebenso wichtig, insolvenz­rechtliche Pflichten und Haftungs­risiken der Geschäfts­leitung zu beachten. Eine ständige insolvenz­rechts­konforme Überwachung der Liquidität durch eine rollierende und dokumentierte Liquiditäts­planung, unterstützt durch rechtliche Berater, trägt dazu bei, Haftungs­risiken in Bezug auf die Insolvenz­antrags­pflicht zu vermeiden und sich vor allem den zeitlichen Handlungs­spiel­raum zu erhalten, um die möglichen Alter­nativen sorg­fältig abzu­wägen, abzu­stimmen und dann stringent umzusetzen.

Betriebswirtschaftlich ist es in Krisen­situationen ratsam, Entscheidungen im Einklang mit der bewährten Aktionärs­weisheit zu treffen, nämlich „Verluste zu begrenzen und Gewinne weiterlaufen zu lassen“. Gleich­zeitig ist es uner­lässlich, sofern ausreichend Mittel vorhanden, auch Kapazitäten und finanzielle Mittel so zu investieren, dass lang­fristig Wettbewerbs­fähigkeit gewähr­leistet werden kann. Diese ganz­heit­liche Herangehens­weise vereint rechtliche Compliance, transparente Kommunikation, Liquiditäts­management und betriebs­wirtschaftliche Weit­sicht für einen erfolgreichen Turn­around.

Wenn Sie gerufen werden, sind in der Regel die Anforderungen komplex und die Zeit­fenster kritisch. Was macht aus Ihrer Sicht gute Kommunikation aus?

Wie bereits erwähnt, ist es für eine gute Kommunikation in Krisen­situationen entscheidend, früh­zeitig alle relevanten Akteure einzu­beziehen, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. Transparenz spielt dabei eine heraus­ragende Rolle, da sie die Basis für eine effektive Kommunikation bildet. Die zügige Herstellung solcher Transparenz erfordert wieder­um eine zeitnahe Erfassung der Ist-Situation sowie die Kompetenz, erste stabili­sierende Maß­nahmen zu erkennen und auch umzu­setzen. Das schafft das nötige Vertrauen für die weiteren Schritte.

Ein Dialog auf Augen­höhe, geprägt von präzisem und respektvollem Aus­tausch, sollte stets stattfinden. Dabei sollten Themen klar angepackt und auch nichts beschönigt werden, um auf einer realistischen Grund­lage Handlungs­optionen zu besprechen und konstruktive Lösungs­ansätze zu entwickeln. Zudem ist es wichtig, klare Zeitpläne zu präsen­tieren, um den Prozess zu strukturieren und sicher­zu­stellen, dass die Kommunikation effizient verläuft.

Kommunikations­experten und Juristen kommen sich schon mal „ins Gehege“, weil sie unter­schied­liche Perspektiven haben. Wie können sie voneinander profitieren?

In einer strukturierten Zusammen­arbeit ergänzen sich Kommunikations­experten und Juristen optimal, ohne sich in die Quere zu kommen. Dabei unterscheidet sich die Herangehens­weise von Juristen bei der Bewältigung von Unternehmens­krisen von der klassischen anwaltlichen Beratung. In solchen Krisen­situationen benötigen Unternehmen nicht nur rechtliche Expertise, sondern auch aktive Unterstützung im Krisen­management. Die Kenntnis und Anwendung rechtlicher Sanierungs­governance bildet die solide Grund­lage, um erhebliche Haftungs­risiken für alle Beteiligten zu vermeiden. Das aktive Krisen­management umfasst jedoch mehr als das tägliche Manage­ment des laufenden Geschäfts­betriebs. Es erfordert eine Beratung des Manage­ments in dieser ungewohnten Situation sowie die Über­nahme ungewohnter Aufgaben. Eine gut abgestimmte Kommunikation zwischen beiden Kompetenz­bereichen kann zu der von allen gewünschte Win-Win-Situation führen.

Gewinnen Sie Krisen auch etwas Positives ab? Können sie als Treiber für Veränderung wirken?

Krisen eröffnen viele Perspektiven, insbesondere dann, wenn man die Chance erkennt und die entsprechenden Potenziale nutzt. Oft werden bisher unerkannte Schwach­stellen erst durch eine Krise aufgedeckt. In diesem Kontext können Krisen als Katalysator für den Umgang mit diesen fungieren und den Weg für positive Veränderungen ebnen.

Idealerweise dienen Krisen als Impuls­geber für grund­legende Kurs­korrekturen. Sie bieten die Möglich­keit, aus vergangenen Fehlern zu lernen, um ähnliche Schwierig­keiten in der Zukunft zu vermeiden. Dies fördert nicht nur eine unmittelbare Bewältigung von Problemen, sondern auch eine nach­haltige Optimierung von Prozessen und Strategien.

Selbst im Falle einer Insolvenz muss dies nicht zwangsläufig das endgültige Aus bedeuten. Auch im Insolvenz­verfahren besteht die Möglichkeit einer Sanierung, die eine positive Wendung und einen Neu­anfang ermög­lichen kann. Gerade das deutsche Insolvenz­recht stellt einen wirklich tauglichen Instrumenten­kasten bereit, mit dessen Hilfe das Blatt auch noch gewendet werden kann. Zahl­reiche Beispiele aus nahezu allen Industrien belegen dies. Wichtig ist, dass es keine Denk­verbote geben darf und dass man sich Zeit erarbeitet, um – wie eingangs erwähnt – die Entscheidungen sorgfältig und ohne Hast treffen zu können.

Mit dem StaRUG-Verfahren hat der Gesetz­geber Unter­nehmen eine neue Möglichkeit gegeben, bei drohender Zahlungs­unfähigkeit ihren Betrieb zu sanieren, ohne ein Insolvenz­verfahren zu durch­laufen. Gehört solchen Verfahren die Zukunft?

Mit dem StaRUG-Verfahren besteht ein weiteres Instrument, um ein Unter­nehmen sanieren zu können. Die Option, Unter­nehmen zu sanieren, ohne die Zustimmung aller Gläubiger einholen zu müssen, bietet eine gewisse Flexibilität und vermeidet den oft kost­spieligen und zeit­raubenden Prozess eines Insolvenz­verfahrens, der mitunter auch image­schädigend sein kann.

Trotz dieser Vorteile ist zu berück­sichtigen, dass das StaRUG-Verfahren nicht in allen Fällen die optimale Lösung darstellen wird. Insbesondere in Situationen, in denen operative Maßnahmen wie Vertrags­beendigungen erzielt werden sollen, stößt das StaRUG an seine Grenzen. In einigen Fällen mag es sogar nicht in Betracht gezogen werden können, wenn die Krise bereits zu weit fort­geschritten ist.

Zudem empfinden einige Gläubiger oder Gläubiger­gruppen bei diesem Verfahren eine unzu­reichende Absicherung, da sie die Mit­wirkungs­möglichkeiten in der frühen Phase des Verfahrens als begrenzt ansehen. Auch Bedenken bezüglich Transparenz und dem Schutz von Minderheits­gesell­schaftern werden zunehmend laut.

Es besteht zudem die Gefahr, dass Unternehmen in finanziellen Schwierig­keiten zu lange außerhalb eines Insolvenz­verfahrens verweilen, was negative Auswirkungen auf die Gläubiger haben kann. Die mangelnde Option eines Wechsels in der Geschäfts­führung und die fehlende Kontrolle durch einen Sach­walter oder Insolvenz­verwalter stellen weitere Heraus­forderungen dar, die von den Gläubigern oft nicht akzeptiert werden.

Zusammenfassend hängt die Wirksam­keit des StaRUG von den indivi­duellen Umständen des Einzel­falles ab. Es ist wichtig zu betonen, dass das StaRUG-Verfahren als Ansporn fungieren soll, jedoch nicht als die alleinige Lösung für sämt­liche Situationen betrachtet werden kann. Ohne jeden Zweifel lässt sich aber fest­halten, dass alleine die Existenz des StaRUG mit seinen zusätz­lichen Sanierungs­instrumenten einen erheblichen Gewinn für den Sanierungs­standort Deutsch­land bedeutet. Wir kennen einige Fälle, in denen bereits das Inaussicht­stellen einer Lösung mittels StaRUG zum Einlenken opponierender Gläubiger geführt hat.

 

Christopher Seagon ist geschäftsführender Partner der auf Unternehmenssanierungen und -insolvenzen spezialisierten Sozietät WELLENSIEK (www.wellensiek.de) mit 15 Partnern und 140 Beschäftigten an acht Standorten in Deutschland. Er ist seit 28 Jahren als Unternehmenstreuhänder, Sanierungsberater, Beirat und Insolvenzverwalter in inzwischen über 1.000 Verfahren und Mandaten tätig.

Foto: Christopher Seagon

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