Geopolitik

Große strategische Befassung mit den epochalen Herausforderungen unserer Zeit; Klimaschutz, ESG, Konnektivität als Treiber gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Transformation; der Einzug eines langfristigen Dekaden-Denkens in den sonst von Mifri-Planung dominierten Strategie-Diskurs; die Suche nach einem neuen strategischen Narrativ, mit dem sich das alles erklären lässt: Das waren die Themen vor der „Zeitenwende“, die die strategische Agenda von Konzernen und Unternehmen – und unseren Beratungsalltag – in besonderem Maße prägten.

Mit dem 24. Februar hat sich das grundlegend geändert. Umschalten in den Krisenmodus, ohne dass es für die Bewältigung dieser Krise irgendeine Vorbereitung gibt. Keine Krisenprävention, keine Q&As, keine Handbücher, keine eingeübten Kommunikationsroutinen. Ein Krieg war nicht vorstellbar und sollte nicht vorstellbar sein.

Seit dem 24. Februar befinden sich Unternehmen in einem fundamentalen strategischen Ausnahmezustand. Was bisher selbstredend eine unumstößliche Säule unternehmerischer Strategien war, ist in Frage gestellt: die grenzenlose Globalisierung mit weltweiter Arbeitsteilung.

Wirtschaftliche Globalisierung schien ein Naturgesetz zu sein – völlig losgelöst von ihren geopolitischen Prämissen. Gigabytes von Marktforschungs- und Research-Analysen zu globalen Wachstumsmärkten, aber kaum Erkenntnisse zu globalen Machtverschiebungen und ihren Auswirkungen auf Handel und Wirtschaft. Das gilt auch für die Megatrend-Forschung, weil sie das Politische weitgehend ausblendet. Globalisierung ist für sie ein unumkehrbarer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Fortschrittsprozess – vielleicht mit ein paar Anpassungen und Korrekturen. Szenarien zu grundsätzlichen geopolitischen Verwerfungen waren nie essenzieller Bestandteil von Zukunfts-Prognosen. Ein blinder Fleck, wie sich heute herausstellt.

Neben der weiterhin lange notwendigen komplexen Krisenbewältigung werden sich Unternehmen in ihrem strategischen Diskurs mit einer neuen globalen Realität beschäftigen müssen. Wir sehen die Konturen einer neuen bipolaren Weltordnung; einer Weltordnung, die zwischen Gut und Böse unterscheidet. Das wirft grundsätzliche – politisch-moralische – Haltungsfragen für Unternehmen auf: Ethik wird Teil der Equity Story. Die Unterstützung von Frieden und Freiheit ist plötzlich relevant für Purpose und Licence to Operate. Gleichzeitig sind die bekannten epochalen Herausforderungen nicht aus der Welt. Klimaschutz bleibt dringlich. Nur muss er jetzt mit neuen (geo-)politischen Rahmenbedingungen zusammengebracht werden. Unternehmen dürfen ihre gerade formulierte Langfrist-Agenda nicht aus den Augen verlieren.

Das alles sind gewaltige Herausforderungen. Sie sind mit den alten strategischen Denkgewohnheiten nicht zu fassen, geschweige denn zu lösen. Ab jetzt muss das bisher Unvorstellbare für den Strategiediskurs fassbar und gestaltbar gemacht werden.

Der Text ist im prmagazin in der Ausgabe Mai 2022 erschienen.

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